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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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unbequem. Einen aufmerksamen Begleiter vorausgesetzt.
    Zu dritt betraten sie den Gasthof Zum schönen Hofnarren , der an das Brauereigelände angeschlossen war. Durch eine automatisch sich öffnende Glastür gelangte man in einen weiten Gastraum, der beherrscht war von einer Einrichtung, die das Rustikale in einer Weise zitierte, wie man Sätze aus dem Zusammenhang reißt. Und dennoch wirkte alles höchst kompakt und passend, denn schließlich bedeutete die Fälschung des Rustikalen, die Imitation des Ländlichen längst etwas Vertrautes. Man konnte sich das Ländliche gar nicht mehr anders als gefälscht vorstellen.
    Jetzt, um halb sechs, saßen kaum Gäste an den Tischen. Zur Gänze besetzt war jedoch der Stammtisch, der seine dunkle, glänzende Oberfläche preisgab, auf der sich die Biergläser und die dazugehörigen Stammgäste spiegelten.
    Man war hier Fremde gewohnt, auch Asiaten, denn die Klosteranlage, vor allem aber die bombastische Innengestaltung des Münsters, seine stuck- und freskenreiche Pracht, sein aufwendiges, beinah schon dubios zu nennendes Chorgestühl, das alles hatte Eingang in die Fremdenführer der ganzen Welt gefunden.
    Als Cheng nun aber an die Theke trat und fragte, ob in der angeschlossenen Pension zwei Einzelzimmer frei seien, entstand eine kleine Unruhe unter den Stammgästen, deren Tisch so nahe an dem Ausschank plaziert war, daß sie jedes Wort verstehen konnten. Und damit auch den wienerischen Klang von Chengs Aussprache. Man betrachtete Cheng, dann seinen Hund und schließlich die korpulente Gestalt Purcells, der übrigens ein geborener Stuttgarter war und diesem Umstand ohne jeglichen Krampf oder Komplex begegnete. Seine Liebe zur englischen Musik war in keiner Weise Ausdruck einer Heimatverachtung, sondern in etwa ein Spleen wie sein Hang zur Verlieblichung von Wörtern.
    Weniger lieblich gestaltete sich der Blick der Stammgäste. Nicht, daß es sich um derbe oder gar brutale Gestalten gehandelt hätte. Sie waren schlichtweg wachsam. Immerhin mußten sie damit leben, daß in ihrer nächsten Nähe nicht nur ein wohlschmeckendes Bier hergestellt wurde, sondern auch Leute lebten, bei denen es sich im besten Fall um harmlose Deppen handelte oder um Menschen, denen die Seele zu Kopf gestiegen war, im schlimmsten Fall jedoch um Typen, die dank einer anerkannten und begutachteten Psychose um das Gefängnis gekommen waren und statt dessen Platz im sogenannten geschlossenen Maßregelvollzug gefunden hatten. Natürlich existierte die Klinik schon viel zu lange, als daß man sie hätte in Frage stellen können. Ganz abgesehen davon, daß es sich bei ihr um den größten Arbeitgeber der Gemeinde handelte. Aber es blieb ein Unwohlsein angesichts der Gegenwart emotionaler Untiefen und ihrer Behandlung. Ein Unbehagen wie beim Anblick von Gewitterwolken, die zwar nicht losbrechen, sich aber ebensowenig verziehen.
    Und aus eben dieser Wachsamkeit heraus kamen die Stammgäste nicht umhin, es merkwürdig zu finden, daß ein einzelner Chinese oder Koreaner, oder was auch immer er war, hier im Ort abstieg, einen langohrigen Hund im Gepäck, um sich dann mit einem österreichischen Dialekt nach freien Zimmern zu erkundigen. Die er auch prompt erhielt.
    Die Stammgäste verfielen in eine erregte Debatte, als Cheng und Purcell einer Kellnerin durch einen kurzen Korridor ins Nebenhaus folgten. An einer kleinen Rezeption wurden die Formalitäten erledigt, und wenig später bezogen die beiden Männer ihre Quartiere.
    Da jedoch nur noch eines von den Einzelzimmern frei gewesen war, übernahm Cheng – der kleinere, aber in Fragen der Bettgröße heiklere der beiden Männer – einen Raum mit Doppelbett. Einen Raum, dem nichts Rustikales mehr anhaftete, dem eigentlich überhaupt nichts anhaftete außer seiner Bestimmung, Menschen von durchschnittlichem Wuchs zu beherbergen und über den Luxus eines Fernsehgeräts zu verfügen, welches auch tatsächlich funktionierte.
    Cheng stand in dem Zimmer und betrachtete die Einrichtung. Das Bett, dessen Gestell aus hellem Holz war. Die beiden kreisrunden und schildförmigen Wandleuchten aus weißem Milchglas. Den kleinen Tisch und den dazugehörigen Stuhl, hergestellt aus dem gleichen Holz wie das Bett. Alles hier war von einer unangenehmen Reinlichkeit. Auch das Bild über dem Bett, ein abstraktes Aquarell, blaß und nichtssagend und mit einer Signatur versehen, die dünn und schwächlich, jedoch kurvenreich in die Mitte des unteren Rands gesetzt worden war. Badezimmer

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