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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und Toilette besaßen dieselbe keimfreie Absenz jeglichen Charmes. Cheng bereute seine Wahl. Alles wäre ihm lieber gewesen als dieses Zimmer, das eigentlich aussah, als würde es zur Psychiatrie gehören. Als sei es allein konzipiert worden, um nur ja keinen Reiz auf seine Betrachter und Benützer auszuüben. Was aber in Chengs Fall zum Gegenteil führte. Schweiß stand auf seiner Stirn, und er bemerkte, wie sein Atem stockte und sich sein verlorengegangener Arm meldete. Der hellgelbe, weiß getupfte Fußbodenbelag und der pastellfarbene Bettüberzug verursachten ihm Übelkeit. Er flüchtete durch die offene Tür auf den Gang, in dem noch immer Lauscher stand, als hätte sein famoser Hundeinstinkt ihm eingegeben, wie unnötig es sei, überhaupt erst in diesen Raum hineinzumarschieren.
    Cheng trat auf der gegenüberliegenden Seite vor eine Tür und rief nach Purcell. Der Hundertzwölfkilomann öffnete mit nacktem Oberkörper und nackten Füßen. Man könnte sagen, daß er über einen schönen Bauch verfügte, vorausgesetzt, man war in der Lage, diesen Bauch für sich zu betrachten. Er besaß in etwa die glatte, gleichmäßige Form wie die Wandleuchten in den Zimmern. Natürlich leuchtete er nicht, obgleich man sich diesen Bauch auch als strahlendes Objekt hätte vorstellen können, als eine fluoreszierende Blase.
    »Was ist denn los?« fragte der Besitzer des Bauches.
    »Die Zimmer sind unerträglich. Nicht wahr?«
    Purcell wußte nicht gleich, wovon Cheng überhaupt sprach. Schließlich sagte er: »Das Bettchen könnte größer sein. Ansonst finde ich alles ziemlich okay. Irgendwie niedlich.«
    »Na gut«, meinte Cheng achselzuckend, »wir treffen uns um acht unten zum Abendessen.«
    Purcell nickte und ging zurück in sein Zimmer, während Cheng sich zusammen mit Lauscher hinunter zur Rezeption begab, wo er eine Angestellte dadurch verstörte, daß er sich nach einem Zimmer erkundigte, das weniger »klinisch« anmute und in dem man nicht den Eindruck bekomme, »im Angesicht einer gleißenden Biederkeit zu erblinden«.
    Die Frau schüttelte zunächst den Kopf, erkannte aber bald Chengs Sturheit. Dazu kam, daß seine wortreiche, von Übertreibungen geprägte Sprache sie beeindruckte. Oder auch nur ängstigte. Auf jeden Fall erklärte sie jetzt, daß sich hinter diesem Haus noch ein weiteres Gebäude befinde, das vormalige Wirts- und Gästehaus, welches nun einigen Arbeitern der Brauerei als Unterkunft diene. Soweit sie wisse, stünden ein paar der Zimmer frei. Sie könne ja die Chefin fragen, ob man eventuell … allerdings: Toilette und Dusche befänden sich am Gang.
    »Fragen Sie die Chefin. Bitte!« Cheng wirkte mit einem Mal freundlich, einnehmend. Er war ein Mann, der auch gefallen konnte. Die Aussicht auf ein anderes Zimmer ließ ihn zur Ruhe kommen. Und zu einer regelmäßigen Atmung. Auch verflog der Schmerz, der seinen unsichtbaren Arm kurz gepackt hatte. Beinahe lächelte er. Es war jetzt etwas Originales an ihm, etwas, das die meisten Betrachter als chinesische Anmut empfanden, auch wenn dies keineswegs der Fall war. Die Anmut war bar jeglichen nationalen Hintergrunds. Sie war allein Chengs Werk. Welches darin bestand, daß der Anflug seines Lächeln ausgezeichnet zu seinem tiefschwarzen Anzug paßte, der ja ebenfalls eine Andeutung darstellte. Freilich von etwas ungleich Größerem als einem Lächeln.
    Die Angestellte verschwand in einem hinter der Rezeption gelegenen Raum. Cheng hörte ihre Stimme, konnte aber nicht verstehen, was die Frau sagte. Kurz darauf kam sie zurück und bat Cheng, ihr zu folgen. Erst jetzt bemerkte sie den Hund, betrachtete ihn mit sichtlichem Vergnügen und fragte: »Was bist denn du für einer?« Dabei ging sie in die Knie und tätschelte Kopf und Rücken dieser – wie Cheng jetzt erklärte – Mischung aus Dackel und Schäferhund. Was eine vereinfachende Darstellung bedeutete, schließlich hatten sich auch Lauschers Eltern bereits im Zustand einer Kreuzung befunden.
    Während Cheng die Frau zuvor kaum wahrgenommen hatte, zumindest nicht als Frau, registrierte er nun ihre Hübschheit, die nichts Ländliches besaß. Und auch nichts von einer Fälschung des Ländlichen. Sie nicht, sehr wohl aber ihre Kleidung, die aus einem grünen, weiten Rock, einer weißen, an den kurzen Ärmeln ballonartig gewölbten Bluse und einer bestickten Schürze bestand und den Hotelgast daran erinnern sollte, in welcher Art von Gegend er sich befand. Doch die Frau selbst wirkte viel eher städtisch.

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