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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Das mag im ersten Moment komisch klingen: ein städtisches Gesicht. Aber es war nun mal so, daß Cheng das Gesicht dieser Frau – während sie ihn ansah und davon sprach, daß Mischlingshunde immer die süßesten seien – als architektonisch empfand. Ja, es sah errichtet aus. In diesem Frauengesicht, welches übrigens über eine gewisse deutliche Breite verfügte, steckte eine durchdachte, menschliche Ordnung. Ihm fehlte die natürliche Gewachsenheit, wie dies etwa bei den Männern am Stammtisch der Fall war. Was keineswegs zu bedeuten brauchte, daß diese Frau aus der Stadt kam. Denn ein Städter hatte selbstverständlich nicht automatisch auch ein städtisches Gesicht. Und ein Landmensch nicht per se eine saftige Frucht im Antlitz.
    Als sie sich jetzt erhob, ergab es sich, daß sie mit ihrem Gesicht ziemlich nahe an das von Cheng geriet. Dahinter steckte keine Absicht, von keiner der beiden Personen. Solange die Frau sich in gebeugter Haltung Lauscher gewidmet hatte, war der Abstand zwischen ihr und Cheng beträchtlich erschienen. Doch mit dem Aufrichten war etwas geschehen, was ein phantastisch veranlagter Mensch als »Schrumpfung der Luft« hätte definieren können. Auf jeden Fall standen sich die beiden nun so nahe, daß Cheng nur hätte zu nicken brauchen, um mit seiner Nasenspitze die ihre zu erreichen. Was er natürlich unterließ. Statt dessen fragte er, ob er ihren Namen erfahren dürfe.
    »Anna Haug.«
    »Ein schöner Name«, erklärte Cheng.
    »Wie kommen Sie denn da drauf?«
    Cheng biß sich auf die Lippe, wie um seinen Mund an die Kandare zu nehmen. Die Bemerkung hatte in keiner Weise der Annäherung gedient, sondern sich aus einer plötzlichen Verunsicherung ergeben. Für einen Moment war Cheng die Idee gekommen, er könnte es – des auffallend breiten Gesichts wegen – mit der Mörderin Thomas Marlocks zu tun haben. Ein unsinniger Gedanke, den er rasch verwarf. Diese Frau hier trug braunes Haar. Aber das allein war es nicht. Haare konnte man färben. Man konnte eine Perücke tragen. Entscheidender war, wie wenig er überhaupt in der Hand hatte, indem er sich bloß auf eine bestimmte Gesichtsform berief. Gesichter waren nun mal breiter oder schmäler. Von einem deutlichen Merkmal, vergleichbar einem fehlenden Arm, konnte nun wirklich nicht die Rede sein.
    Cheng tat einen Schritt zurück, wie um sich zu entschuldigen. Er hatte aus seiner Beunruhigung heraus freundlich sein wollen, indem er stellvertretend für die ganze Person den guten Klang ihres Namens hervorgehoben hatte. Nicht mehr. Es entsprach nicht seiner Art, sich einzubilden, nur weil er über einen gut sitzenden Anzug verfügte, sich gegenüber dieser oder irgendeiner anderen Frau etwas herausnehmen zu dürfen. Auch wurde ihm nun – mit einer gewissen Verspätung, die ihn ärgerte – die Jugend dieser Frau bewußt.
    »Kommen Sie«, sagte Anna Haug. »Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer. Übrigens: Ich habe nichts dagegen, wenn Ihnen mein Name gefällt. Ihrer gefällt mir auch. Cheng. Cheng & Haug. Würde sich gut machen. Finden Sie nicht auch? Ich meine, als Firmenname.«
    »Stellt sich nur noch die Frage, in welcher Branche.«
    »Was arbeiten Sie, Herr Cheng?«
    Cheng überlegte. Er ließ sich Zeit, bis Frau Haug ihn und Lauscher auf einen kleinen Hof geführt hatte, der zwischen dem neuen und dem alten Haus lag. Neben dem freigeschaufelten Weg lag der Schnee einen Meter hoch. In der Mitte dieser Rinne blieb Cheng stehen. Anna Haug drehte sich um, wartete. Es sah nicht aus, als würde die Kälte sie stören. Und das, obwohl sie eine Bluse mit kurzen Ärmeln trug.
    »Ich bin Detektiv«, sagte Cheng, so wie man sagt: Ich esse Würmer.
    »Das glaube ich nicht«, meinte Anna Haug, wobei sie weniger ungläubig denn amüsiert dreinsah.
    »Im Ernst. Ich betreibe in Stuttgart ein kleines Büro. Und möglicherweise haben Sie recht. Möglicherweise würde es viel besser gehen, wenn es Cheng & Haug hieße. Die Verbindung zweier Namen suggeriert eine größere Verläßlichkeit. Und sie vermittelt Tradition. Partnerschaften im Geschäftsleben kommen gut an. So wie Ehepaare gut ankommen. Obwohl die Ehe ein Konstrukt ist, erscheint sie den Leuten als etwas Natürliches und Gottgewolltes.«
    »Ich hoffe«, sagte Anna, weiterhin vergnügt, »daß das jetzt kein Heiratsantrag war.«
    »Ich sprach von meiner Detektei«, erklärte Cheng mit unnötiger Ernsthaftigkeit. Dann verwies er darauf, daß ihm kalt sei. Geradeso, als sei es nicht seine eigene Idee

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