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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verrückten Schneesturm, den er viele Jahre zuvor in Wien erlebt hatte. Damals war er aus der Tollwut des Wetters in ein Kaffeehaus geflüchtet. Was ihm nun kaum gelingen würde. Die Zeit der Kaffeehäuser war vorbei.
    Es saß da, ein Mensch ohne die Hoffnung auf ein Kaffeehaus. Und eigentlich ohne das Bedürfnis, sich zu erheben. Rasch bildete der Schnee in den Ecken und Nischen, die sich aus Chengs Körperhaltung ergaben, kleine Anhäufungen, denen er beim Wachsen zusah. Ein Anblick, der ihn auf eine angenehme Weise ermüdete. Aber gerade diese Schläfrigkeit ließ ihn aufschrecken. Schließlich war er nicht hier, um zu erfrieren, sondern um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Und um seine Neugierde zu befriedigen. Also löste er die drei Schnallenverschlüsse und öffnete den Behälter.
    Was hatte er eigentlich erwartet, worauf er stoßen würde? Auf eine Leiche? Eine Bombe? Einen sehr langen, sehr dünnen Mann der Polizei? Statt dessen befanden sich darin zwei paar Ski, die in keiner Weise auffällig schienen. Blieb allerdings noch immer die Vorstellung, jemand könnte absichtlich diesen Skikoffer von einem Autodach gelöst haben, um einen tödlichen Unfall zu provozieren.
    In dem Moment, da sich Cheng endlich aufrichten wollte, bemerkte er einen flachen Gegenstand, der sich unterhalb der Skistockgriffe befand. Es handelte sich um etwas, das Cheng im ersten Moment für einen weiteren Bierdeckel hielt, viereckig und von derselben Größe wie jener, den er bei sich trug.
    Doch als er jetzt Zeige- und Mittelfinger wie eine Greifzange gebrauchte und das Ding herauszog, bemerkte er den Glanz der Oberfläche, und gleich darauf war ihm klar, daß er ein Polaroidfoto in der Hand hielt. Darauf waren drei junge Menschen abgebildet, eine Frau und zwei Männer in Skikleidung, die schräg zu einem schneebedeckten Hang standen. Alle drei blickten frontal in die Kamera und präsentierten ein breites Grinsen. Dabei hielten sie sich umarmt, was wegen der Neigung der Piste ein wenig umständlich wirkte. Überhaupt sah es so aus, als würden sie demnächst ihren gemeinsamen Halt verlieren. Was wohl auch passiert war und keinem der drei unangenehm gewesen sein dürfte: das Purzeln der Körper. Das Ineinanderpurzeln. Auch das der Herzen.
    Cheng konnte direkt hören, wie das Gelächter dieser Menschen aus einer Vergangenheit aufstieg, die etwas mehr als zwanzig Jahre zurückliegen mußte. Denn der Qualität und dem Zustand des Polaroids nach zu urteilen, sowie auf Grund der Skianzüge, welche die drei trugen, ordnete Cheng diese Aufnahme in die späten Siebzigerjahre ein. Die grellen, gepolsterten und taillierten Anoraks besaßen den Charme von Kampfanzügen, die geeignet gewesen wären, rabiate Marsianer zur Vernunft zu bringen. Das war eine Zeit gewesen, da man sich die Existenz von Marsianern noch hatte ausmalen können. Während der Mars heute recht öde im Licht der Erkenntnis stand und man schon froh war, auf Hinweise von Wasser zu stoßen, Wasser, das längst nicht mehr floß.
    Damals aber war der Mars noch ein Ziel für jedermann gewesen, nicht bloß für Sonden und Wassersucher, und man hatte folglich auch auf Skipisten einen astronautischen Geist verspürt. Einen Geist, den Cheng bestens im Gedächtnis hatte, besser als manches, was danach gekommen war. Er war in den späten Siebzigern etwa so alt gewesen wie die drei Personen auf dem Foto, also im Bereich eben erklommener Volljährigkeit.
    Aber es war nun keineswegs dieser Zustand jugendlichen Erwachsenseins, an den Cheng gerne zurückdachte, sondern allein die Pracht damaliger Skianzüge und Skischuhe. Und das Gefühl, das man beim Tragen dieser Ausrüstung entwickelt hatte. Denn obgleich die eigenen Füße und Unterschenkel sich in diesen Skischuhen angefühlt hatten, als würden sie in Betonklötzen stecken, so war es eben doch ein aufregendes Gehen gewesen. Man hatte dann nicht nur die Straßen der Wintersportorte in der Gangart halbfertiger Roboter überquert, sondern war im Geiste auch über die zerklüfteten Ebenen bitterschöner Monde und Planeten geschritten.
    Cheng verharrte noch einen Moment im Zustand der Rührseligkeit, dann entschied er, die Fotografie mit sich zu nehmen. Nicht, daß er dachte, anhand dieses Bildes würde es möglich sein, den fahrlässigen Besitzer des Skikoffers ausfindig zu machen. Darum ging es auch gar nicht. Worum es ging, konnte Cheng selbst nicht sagen. Auf jeden Fall drängte es ihn zu allergrößter Vorsicht. Was bedeutete,

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