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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Marlocks angefertigt hatte.
    »Was ist los?« beschwerte sie sich. »Warum gaffst du so dämlich, Hundefänger?«
    Ihr Akzent verriet, daß sie einem englischsprachigen Land entstammte oder zumindest lange Zeit in einem solchen gelebt hatte. Wobei sich am ehesten eine Zugehörigkeit zum Britischen anbot. Vielleicht aber klang durch das vom Englisch verfärbte Deutsch doch auch Polnisch oder eine andere slawische Sprache hindurch. Vielleicht. Cheng war alles andere als ein Detektor für Sprachen. Aber darum ging es jetzt auch gar nicht. Cheng fragte: »Zeichnen Sie?«
    »Warum sollte ich?«
    »Jemand hat mir empfohlen, mich von Ihnen porträtieren zu lassen. Es heißt, Sie würden über halsbrecherische graphische Künste verfügen.«
    Er bereute sogleich seinen billigen Sprachwitz. Wie er das so oft tat: Gesprochenes bereuen.
    Die Frau schenkte ihm einen abfälligen Blick und sagte: »Zieh ab, Hundefänger! Das ist kein Ort für Spaßvögel und keiner für Hunde. Es ist ein Ort der Andacht. Ein Ort, in den Gott seine Seele getaucht hat.«
    »Kein Gott war je in dieser Kirche«, behauptete Cheng ernst. »Schon gar nicht mit seiner Seele.«
    »Was du nicht sagst. Dabei würdest du Gott nicht einmal bemerken, wenn er dir das Genick bricht.«
    Cheng ignorierte dies, entschloß sich zur Offensive und erklärte in sachlichem Tonfall: »Es nützt ja nichts. Sie waren letzte Woche in einem Lokal namens Tilanders Bar . Das wird durch Zeugen einfach zu beweisen sein. Sie haben das Gesicht eines der Gäste auf einem Bierdeckel aufgezeichnet. Brillant, nebenbei gesagt. Weniger brillant ist, daß Sie denselben Mann wenig später umgebracht haben. Warum auch immer. Das Aquarium. Sie erinnern sich doch?«
    Doch die Frau ging darauf nicht ein, sondern erklärte, daß es eine Schande sei, wenn jeder verrückte Hundefänger so einfach in eine Kirche platzen könne, um die Gläubigen, die Betenden, die Hilfesuchenden von ihrer Gebetsarbeit abzulenken. Solcherart sich beschwerend, stand sie auf, trat aus dem Gestühl und bewegte sich davon. Cheng war sofort hinter ihr her. Noch immer Lauscher im Arm, holte er die Frau auf Höhe der Opferkerzen ein und stellte sich ihr in den Weg.
    Ihr Faustschlag traf ihn mit einer weichen Wucht an Nase und Mund. Einen Moment spürte es sich an wie die berühmte Torte, die im Gesicht landet. Der Schmerz stellte sich eigentlich erst ein, als er mit dem Rücken auf dem Steinboden aufkrachte. Lauscher wurde ein wenig in die Höhe und zur Seite katapultiert und landete auf allen vieren, wenngleich natürlich nicht in der abfedernden Art einer Katze oder einer Mondlandeeinheit, sondern so, wie in etwa ein Tisch oder ein Bett landen würden. Er schien nicht einmal verdutzt.
    Einen Moment lang umfing Cheng eine pulsierende Schwärze. Da er aber nicht wirklich ohnmächtig geworden war, hörte er die sich rasch entfernenden Schritte der Frau. In der Folge drang auch deutlich das Knarren des Kirchenportals an sein Ohr. Er biß die Zähne zusammen, preßte seine Zunge gegen die geschlossene Zahnreihe und erhob sich in die Schwärze hinein, die sich aufzulösen begann. Daß er hinter der Frau herstolperte, war ein Affekt. Immerhin wußte Cheng ganz gut, kein Meister der Verfolgung zu sein. Und als er nun durch die Tür trat, hinein in die blendende Sonne, sah er für einen Moment nichts anderes als ein weißes Blatt.
    »So ist das«, dachte er, »es gibt Kämpfe, da geht man k.o., bevor sie überhaupt angefangen haben.«
    Er griff sich an die Nase und hielt dann die feucht-klebrigen Finger in Sichthöhe. Nicht, daß er die eigene Hand bereits erkennen konnte. Aber auf dem weißen Papier wurde eine Blutspur sichtbar. Und mit diesem roten Fleck kam auch die Welt zu Cheng zurück, fügte sich der Platz vor der Kirche zusammen, das satte Blau des Himmels, auch Lauscher, der jetzt über die wenigen Stufen lief. Von der Frau aber, deren unvermuteter Schlag Cheng eine kleine, kurze Nacht beschert hatte, war nichts zu sehen. Statt dessen tauchten nun zwei Männer in der Rundung eines Durchgangs auf. Als sie Cheng gewahrten, gerieten sie in Unruhe, begannen zu rennen. Auf Cheng zu, der seine Hände beschwichtigend hob, geradezu priesterlich.
    Einer von den Männern griff in das Innere seines Mantels, als wollte er eine Waffe zücken. Überlegte es sich aber.
    Cheng zweifelte keinen Moment, daß es sich bei den beiden zerfahrenen Figuren um Leute aus Rosenblüts Mannschaft handelte. Was ihn dabei verwunderte, war der

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