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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auf seinem Schreibtisch stand. Mit seiner freien Hand griff er nochmals nach dem Feuerzeug, mit dem er sich kurz zuvor seine Zigarette angezündet hatte. Nun aber benutzte er es, um das Porträt Thomas Marlocks sowie sein eigenes in Brand zu setzen. Während die Flammen an den zwei Bildern hochwanderten, sagte Callenbach mit ehrlichem Bedauern: »Jammerschade.« Dann ließ er die lodernden Objekte in die Schale fallen. Weil jedoch die Verbrennung des Bierdeckels auf halbem Weg einzuschlafen drohte, hielt Callenbach erneut sein Feuerzeug an eine noch intakte Stelle, trat dann einen Schritt zurück und betrachtete die endgültige Verwandlung.
    »Was war das jetzt?« fragte Cheng und gab sich auch gleich selbst die Antwort: »Wohl eine bühnengerechte Demonstration. Um mir deutlich vor Augen zu führen, wie weit Ihre ärztliche Verschwiegenheit reicht.«
    »Ich denke, es ist besser, wenn Sie wissen, daß es nichts mehr gibt, was Ihre kleine Theorie auch nur annähernd plausibel erscheinen läßt. Und seien Sie jetzt endlich so freundlich, die ganze Sache ad acta zu legen. Überzeugen Sie auch Ihren Klienten davon, daß dies besser wäre. Noch kann er sein Erspartes sinnvoll verwenden. Die Wahrheit, nach der er sucht, ist es nicht wert, das eigene Geld und erst recht das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.«
    »Klingt ja schrecklich.«
    »Ein Spaß ist es nicht.« Und an seine drei Mitarbeiter gewandt: »Also los, meine Herren!«
    Cheng ließ sich ohne jegliche Gegenwehr aus dem Zimmer führen. Der Kranz der Männer stellte jetzt nur noch eine lockere Umklammerung dar. Dennoch hatte Cheng einen Moment gefürchtet, man würde ihn mit Psychopharmaka vollpumpen oder gar Schlimmeres unternehmen. Doch er wurde schlichtweg in die Empfangshalle eskortiert und dort ohne ein weiteres warnendes Wort stehengelassen. Nicht anders als ein Mann, über den soeben ein Lokalverbot verhängt worden war.
    Nach einer kleinen Pause, in der er gewissermaßen wieder zu Luft gekommen war, begab sich Cheng zum Informationsschalter, wo er Lauscher übernahm, der einen starken Widerwillen zeigte, die warme Stube zu verlassen.
    »Ist das wirklich Ihr Hund?« fragte die Dame.
    Cheng gab keine Antwort und zog Lauscher an der Leine nach draußen.
    »Verdammt, Lauscher, stell dich nicht so an«, schimpfte Cheng im Gehen. Er sprach nicht oft mit seinem Hund. Einmal, weil ihm das idiotisch vorkam. Andererseits, da er wußte, daß Lauscher ohnehin kaum zuhören konnte oder wollte. Hin und wieder aber vergaß er sich und wandte sich direkt an Lauscher, wie man etwa mit einem langjährigen Ehepartner spricht, den man nur dann anredet, wenn das gewohnte Schweigen sich als erfolglos erwiesen hat.
    Nachdem die beiden auf den Vorplatz hinausgetreten waren, verlor sich ihre Spannung. Lauscher schnüffelte an der kalten Luft, die in der Sonne einen milden Unterton und einen milden Nachgeschmack besaß. Als sei sie durch ein glühendes Drahtgitter gepreßt worden.
    Cheng zündete sich eine Zigarette an und ging nun entlang einer Reihe von Anstaltsgebäuden, die zumindest von außen besehen noch immer einen klösterlichen Reiz besaßen. Nachdem er um die Ecke gebogen war und einen Durchgang passiert hatte, gelangte er auf den Platz vor dem Münster.
    Die Vorderfront des Kirchenbaus wies einen massiven und abweisenden, ja, einen tresorartigen Charakter auf. Als er aber in das Innere trat, eröffnete sich ihm ein weiter, hoher und heller Raum. Sein österreichisches Herz jubilierte angesichts der Fresken, die hier mehrere Himmel bildeten. Cheng war begeistert über die Leichtigkeit und Virtuosität der dargestellten Figuren, welche die ockerfarbenen Wolken bevölkerten.
    Übrigens war Cheng, obgleich getauft und zahlender Katholik, völlig unreligiös in einem konfessionellen Sinn. Und machte sich auch als Agnostiker wenig Gedanken über das Undenkbare. Aber angesichts einer Kirche wie dieser mit ihrer reichen Ornamentik atmete er wie befreit auf. Das Strudelige der gesamten Architektur und Ausschmückung erdrückte ihn nicht, ganz im Gegenteil. Der Strudel riß den Betrachter ja in keine Abgründe, sondern ließ ihn gemächlich aufwärts treiben, eben jenen Himmelsgewölben entgegen, in denen die mit faltenreichen Gewändern ausgestatteten Figuren residierten. Der Inhalt dieser Malereien kümmerte Cheng nicht. Er gab sich völlig dem Raumgefühl hin, nahm auf einer der vorderen Bänke Platz, schob seinen Kopf in den Nacken und verlor sich im Wirbel der Gestalten und

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