Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
standen, so daß die Stirn des einen an der Stirn des anderen lehnte. Die beiden Köpfe hielten sich also gegenseitig aufrecht und bildeten gleichzeitig eine Brücke, welche die zwei Leiber verband. Daß auf alldem natürlich eine Menge Blut klebte, war weit weniger abstoßend als der Tatbestand einer Komposition, einer Zurschaustellung der entstellten Leichen.
    Das Bett wirkte dabei wie ein Podest. Das Blut besaß bloß den Charakter einer zwangsläufigen, im Werkprozeß inkludierten Materialabsplitterung. Das wirklich Widerwärtige ergab sich also viel weniger aus der Verletzung der Körper (jeder der hier Anwesenden, Cheng ausgenommen, hatte diesbezüglich schon weit Schlimmeres gesehen), sondern in der wohlüberlegten Ordnung, die geschaffen worden war. Von einer künstlerischen Ordnung zu sprechen verbat sich freilich. Aber um genau eine solche handelte es sich. Eine künstlerische Ordnung, die etwa an einige Skulpturen des Minimalismus oder an Projekte der Land Art erinnerte.
    Zur künstlerischen Ordnung gehörte natürlich auch, daß die beiden Toten porträtiert worden waren. Auf den beiden schildförmigen, rechts und links über dem Bett angebrachten Leuchten klebte je ein Stück Papier, nicht größer als elf, zwölf Zentimeter im Quadrat. Cheng war zunächst verwundert, daß er weder einen Aufdruck noch eine Beschriftung erkennen konnte. Der Strich der Zeichnungen war breiter und gröber als im Falle der Bildnisse Marlocks und Callenbachs. Zudem handelte es sich um die Gesichter schlafender Männer.
    Cheng überlegte. Und gerade, als er Rosenblüt darum bitten wollte, drehte dieser die Wandleuchten an, so daß der Schein durch die beiden dünnen Papiere fiel. Nicht nur, daß die Gesichtszüge nun deutlicher hervortraten, erfüllte sich nun doch das Prinzip eines konkreten Untergrunds. Denn auf den beiden Zetteln war ein identischer Schriftzug zu sehen. Keiner davon stellte das Original dar. Es handelte sich in beiden Fällen um Durchdrucke. Offensichtlich stammten die Papiere von einem Notizblock. Was man sah, waren allein die in das Papier hineingepreßten Buchstaben, die mittels der Graphitschicht sichtbar wurden. Wobei natürlich der eine Abdruck etwas schwächer ausfiel als der andere.
    Bei dem Text handelte es sich offensichtlich um die handschriftliche Anmerkung eines der beiden Toten. Darauf war zu lesen: Cheng wechselt das Zimmer . Wieso?
    Und nach einem kleinen Abstand: Es tut sich gar nichts . Ländliche Ruhe . Anständiges Essen . Kurze Betten . ~ Wir gehen schlafen .
    Cheng ging von einer Leuchte zur anderen. Dann betrachtete er von neuem die beiden Leichen. Er fragte, wer die Toten seien.
    »Sie sollten nicht versuchen, uns zu verarschen«, warnte Dr. Thiel. »Nicht in dieser Situation. Sie wissen doch ganz genau …«
    »Gar nichts weiß ich genau. Aber ich muß annehmen, daß es sich um die beiden Polizisten handelt, die mir und meinem Mitarbeiter hierher gefolgt sind. Ich habe die beiden gestern abend nur kurz aus der Ferne gesehen. Beim Essen. Natürlich fand ich es sonderbar, als ich sie heute früh nirgends entdecken konnte. Aber was hätte ich denn tun sollen? In Stuttgart anrufen und fragen, wo verdammt noch mal meine Beschatter geblieben sind?«
    Dr. Thiel packte Cheng an der Schulter und war knapp davor, seinem Gegenüber ins Gesicht zu spucken. Doch Rosenblüt fuhr dazwischen, nahm die Hand des einen von der Schulter des anderen und sagte: »Beruhigen wir uns.«
    Doch genau in dem Moment, da Rosenblüt den Satz beendet hatte, schlug er Cheng so kräftig in den Magen, daß dieser zusammenklappte und auf seine Knie fiel.
    »Das mußte sein«, erklärte der Hauptkommissar mit ruhiger, nüchterner Stimme. »Ich will nicht, Herr Detektiv, daß Sie glauben, Sie könnten sich Frechheiten herausnehmen, bloß weil Ihnen ein Arm abhanden gekommen ist. Kein Krüppelbonus. Geht das in Ihren Kopf?«
    »Mein Gott«, stöhnte Cheng und ließ sich von Rosenblüt auf die Beine helfen. »War das wirklich nötig?«
    »Es war«, sagte Rosenblüt nicht unfreundlich und richtete sein Wort nun an die Leute von der Spurensicherung, wies sie an, weiterzumachen. Sogleich begannen ein Mann und eine Frau in weißen Schutzanzügen, sich über die beiden Toten zu beugen, ohne diese zu berühren. Sie blickten in die Sichtfenster kleiner Geräte, mit denen sie an den aneinandergelehnten Köpfen entlangfuhren.
    »Gehen wir raus«, schlug Rosenblüt vor.
    Zu viert begab man sich wieder hinunter in den Gästeraum

Weitere Kostenlose Bücher