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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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recht dilettantisch an. Davon konnte aber bei diesem einen Exemplar nicht die Rede sein. Es war auf einem Stück Papier entstanden, auf dem sich das aus den beiden Kirchtürmen zusammengesetzte Logo der Klinik befand, sowie eine handschriftliche Notiz, welche die Wirkung eines Medikaments beschrieb. Über der Schrift und dem Logo war in der unnachahmlichen, realistischen wie konstruktiven Weise der Charakterschädel Callenbachs skizziert worden. Er besaß dieselbe gläserne, aber unzerbrechlich anmutende Durchsichtigkeit, die auch das Porträt Thomas Marlocks bestimmte.
    Erst jetzt, während er triumphierend mit dem Finger auf die kleine Zeichnung wies, wurde Cheng bewußt, daß Callenbach mittels irgendeiner geschickten Ablenkung es fertig gebracht hatte, das Bierdeckelporträt Marlocks in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen. Und daß also er, Cheng, vergessen hatte, dieses Bild, dieses Beweisstück zurückzuverlangen. Dies war freilich unentschuldbar und ihm selbst ein Rätsel. Andererseits war er nun in der Lage, seinen Fehler gutzumachen und Callenbach an die Wand zu spielen.
    »Wir wäre es«, schlug Cheng süffisant vor, »wenn Sie das Porträt des Toten herausrücken und einmal neben das Ihre hier halten. Nur, damit wir den Stil vergleichen können.«
    »Was soll das bringen?« fragte Callenbach, dessen Antlitz sich stark verändert hatte. Die Piccolische Bitterkeit sowie das Joviale waren in einen Ausdruck reiner Abwehr übergegangen. Derart, daß das Porträt, auf welches Cheng noch immer seinen Finger hielt, dem Original näher kam, als es in diesem Moment das Original selbst tat.
    »Nur um zu überprüfen«, antwortete Cheng, »ob Sie nicht doch eine Frau kennen, der man den Rang einer mörderisch-genialen Porträtistin zugestehen könnte. Zudem wäre es zu gütig, wenn Sie mir den Bierdeckel zurückgeben würden. Beinahe hätte ich vergessen, Sie darum zu bitten. Die Löcher in meinem Kopf. Eine wahre Plage.«
    »Es wäre aber besser, Herr Cheng, wenn Sie nicht nur den Bierdeckel, sondern auch alles andere vergessen würden. Ich sage das in ehrlicher Sorge. Nicht nur um mich. Auch um Sie. Die Sache ist weit brisanter, als Sie sich vorstellen können.«
    »Ich bin einiges gewohnt.«
    »Wie soll ich das verstehen? Masochismus?«
    »Den Bierdeckel«, wiederholte Cheng, streckte seine Hand aus und beantwortete damit auch die Frage nach seiner Sturheit.
    »Sie machen mich unglücklich«, erklärte Callenbach, bewegte sich auf seinen Schreibtisch zu und drückte den Knopf der Gegensprechanlage. Eine Frauenstimme meldete sich. Callenbach sagte bloß: »Den Kranz, bitte!«
    »Hören Sie auf«, forderte Cheng, »den Überlegenen zu markieren. Hören Sie vor allem auf, ein Verbrechen zu decken. Es ist wohl kaum so, daß der hippokratische Eid Sie dazu zwingt, eine talentierte Kopfabschneiderin zu schützen.«
    Callenbach schwieg, zog umständlich eine Zigarette aus einer Schatulle und zündete sie sich an. Dann sagte er: »Ich rauche so gut wie nie. Und wenn ich es einmal tue, geniere ich mich.«
    Cheng war perplex. Was sollte er tun? Etwa diesen komischen Arzt mit der Waffe dazu zwingen, Marlocks Porträt herauszugeben? Zunächst jedoch eben darum, weil dies auch ohne Pistole funktionierte, nahm er das gerahmte Porträt Callenbachs vorsichtig von der Wand. Der wirkliche Callenbach rührte sich nicht. Dafür ging die Tür auf, und drei weißgewandete Männer traten herein. Es waren nicht die üblichen Muskelpakete, sondern schlanke, wendige Männer, die rasch einen Kreis um Cheng gebildet und ihn mit routinierten Griffen fixiert hatten. Jetzt wurde Cheng auch klar, daß mit »Kranz« nicht ein einzelner Pfleger gemeint war, sondern eine ganze Formation.
    Callenbach trat auf den nun bewegungsunfähigen Cheng zu und nahm ihm das gerahmte Bild aus der Hand. Er tat dies in einer fürsorglichen Art, als pflücke er eine Frucht.
    »Das war natürlich ein Fehler«, gestand Callenbach, »die Zeichnung hier aufzuhängen. Eine bloße Eitelkeit meinerseits, wie ich gestehen muß. Aber wenn man endlich einmal ein gutes Porträt von sich besitzt, will man es natürlich nicht in der Lade verstauben lassen. Was nun allerdings zur Folge hat, daß es selbst mit einem Verstauben des Bildes nicht mehr getan wäre.«
    Callenbach öffnete den Rahmen und zog die Zeichnung heraus. Dann faßte er in eine Tasche seines Kittels und förderte den Bierdeckel hervor. Zusammen hielt er die beiden Bildnisse über eine silberne Schale, die

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