Ein Tag in Barcelona (German Edition)
fasziniert mich am Montjuïc, wie er geradezu magisch einschneidende Ereignisse der Stadtgeschichte anzuziehen vermag. Mitunter war es eine Geschichte des Schreckens: Auf dem Berg steht eine gigantische, einst strategisch wichtige Militärburg, das Castell de Montjuïc, das zu Zeiten der Franco-Diktatur als Gefängnis für politische Gefangene berüchtigt war. Als vor wenigen Jahren das spanische Verteidigungsministerium das Castell an die Stadt »zurückgab«, feierten die Katalanen diesen historischen Moment wie eine friedliche Eroberung.
Die schöne Seite des Berges ist mit einer Jahreszahl verbunden, die in die Zeit vor dem spanischen Bürgerkrieg weist: 1929. In jenem Jahr fand am Montjuïc die Weltausstellung statt, die ein ziemlich verschwenderisches Unternehmen gewesen sein muss. Jedenfalls investierte Barcelona über zwanzig Millionen US -Dollar, die vor allem für die schicken Pavillons draufgingen. Einige davon sind gleich nach der Ausstellung wieder unter den Bagger gekommen, aber die prunkvollsten kann man noch heute besichtigen.
Hoch oben auf dem Berg thront der »Nationalpalast«, der heutzutage das katalanische Nationalmuseum beheimatet – eine wunderbare Ausstellungshalle mit wirklich tollen Exponaten. Auch das Olympiastadion wurde zu Zeiten der Weltausstellung gebaut, für die Olympischen Spiele 1992 musste es gewissermaßen bloß modernisiert werden. Barcelona hatte sich nämlich in den zwanziger Jahren um die Austragung der Olympischen Spiele von 1936 beworben, die dann 1931 aber an Berlin vergeben wurde. Das republikanische Spanien boykottierte die berüchtigten »braunen Spiele« von Berlin und entsandte keinen einzigen Athleten nach Deutschland. Stattdessen wurde eine »Volksolympiade« organisiert, die schließlich doch nicht stattfand. Denn just am Vorabend der geplanten Eröffnung brach der spanische Bürgerkrieg aus.
Das Bad auf dem Montjuïc wurde Mitte der Fünfziger zum ersten Mal umgestaltet, doch seine heutige Pracht verdankt es den Spielen von 1992. Absurderweise ist es dort meistens leer. Oft sind bloß ein paar durchtrainierte Turmspringer zu sehen, die ab und zu ihre Kunststücke vollführen. Umso mehr kann man als Nichtspringer in weiblicher Begleitung leicht in eine blöde Situation geraten. Wenn nämlich die Dame, während die »Schokoladentafeln« ihre spektakulären Köpper und Schrauben machen, hinter ihrer gespiegelten Sonnenbrille nur so tut, als ob sie lesen würde, stattdessen aber heimlich zu den ach so mutigen Springern schielt. Ist mir selbst auch passiert.
»Was für’n dämlicher Sport, oder?«, sagte ich, ohne groß nachzudenken, zu der neben mir liegenden Schönheit. Sie stammte aus Sabadell, einem unscheinbaren Ort in der Nähe Barcelonas, der mal eine einigermaßen florierende Textilindustriestadt war, seine besten Zeiten aber lange hinter sich hat. »Warum machen Leute so was?«
Statt mir zuzustimmen, sagte sie: »Och, ich find’s ganz spannend … Synchronschwimmen ist dämlicher.«
»Mmmmh – äh, du, sollen wir langsam aufbrechen? Ich habe Hunger«, erwiderte ich. Grund für meinen Vorschlag war eine ängstliche Vorahnung, die sich bestätigen sollte. Durch das beredte Schweigen, einen herausfordernden Blick über den Rand der Sonnenbrille hinweg – und die Frage: »Sag mal, würdest du dich trauen, vom Zehner zu springen?«
Ich wusste es, schoss es mir durch den Kopf. Ich Idiot! Warum, warum, warum? Warum bin ich mit ihr ausgerechnet hierhergegangen? Ich hätte ja auch die romantische Tour fahren können: Sie zum besten Mandelmilcheis der Stadt einladen oder mit dem Funicular, der Seilbahn, runter in die Stadt fahren. Wir hätten sogar ins Miró-Museum gehen können, das auch hier auf dem Montjuïc-Berg ist. So hätte ich ihr unbehelligt tausend Komplimente ob ihrer Schlankheit machen können oder sogar lügen, dass mich nichts brennender interessiert als Sabadell. Und im Kaktuspark am Fuße des Friedhofs, auf dem so viele alte Stadt-Patrizier ruhen und der als einer der schönsten der Welt gilt, hätten wir hinterher bestimmt geknutscht. Klappt doch immer! Aber nein. Ich musste ja unbedingt ins Montjuïc-Bad!
Selbst schuld, dass mir die Angst durch den Körper schoss, die Amygdala auf Hochtouren arbeitete und die Zunge ganz pelzig wurde. Ich nahm betont lässig einen Schluck Cola und sagte: »Machst du Witze? Natürlich! Schon x-mal gemacht!«
Und sie lächelte.
Wahrscheinlich ahnte sie, dass ich mich, während ich ihr in die Augen
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