Ein Tag in Barcelona (German Edition)
dem Koch des für mich besten Restaurants in Barcelona. Mein guter Freund Xavi ist ein sehr bescheidener Mann, der nicht möchte, dass ich seinen kleinen Schlemmertempel erwähne. Ich finde diese Haltung sehr sympathisch, die Leser, denen das Wasser im Munde zusammenlaufen sollte beim Gedanken an Meeresfrüchte, Cannelloni mit Sauce Hollandaise, marinierte Makrele mit Erdbeeren und Avocado, vermutlich nicht. Tut mir natürlich leid, aber ich muss mich dem Wunsch des Chefs beugen. Wenn man lang genug durch die hübschen Gassen Gràcias streunt, wird man es aber finden, ganz sicher, viel Glück!
Das letzte Mal, als wir uns getroffen haben, standen Xavi und ich in tausend Meter Höhe auf einem Felsen mitten im Montserratgebirge, das steil aus dem hügeligen Hinterland Barcelonas ragt. Schwitzend und ratlos nach der ewigen Kraxelei verriet mir Xavi dann, dass jeder Felsen hier einen Namen hat. »Aber den schönsten Namen hat dieser hier vor uns«, sagt er und streichelt zärtlich das merkwürdig weich erscheinende Gestein. Es ist ein bauchiger Felsen, der nach oben hin spitz zusammenläuft. »Ist er nicht prächtig?«, strahlt Xavi mich an, als würde er über seinen zotteligen pyrenäischen Schäferhundmischling Carles sprechen. »Nach dieser ›roca‹ habe ich meinen Laden benannt«, sagt er stolz und tätschelt den friedlich schlafenden Steinkoloss.
Montserrat heißt »zersägter Berg«, und der ist vor allem wegen seines Klosters bekannt, in das tagtäglich Menschen aus aller Welt pilgern. Meine Mutter erzählte mir mal, wie sie als Mädchen mit ihrer Schulklasse in die Berge fuhr, um den gregorianischen Gesängen der Mönche zu lauschen. Noch vor Sonnenaufgang. Piel de gallina habe sie verspürt, ein Hühnerfell, wie es wörtlich übersetzt heißt, oder: Gänsehaut, wie wir in Deutschland sagen. Als ich mit Xavi hochmarschiert bin, konnte ich mir das nur allzu gut vorstellen.
Viele Legenden ranken sich um den Sägeberg: So soll sich zum Beispiel Richard Löwenherz hier versteckt haben. Noch berühmter ist allerdings die Geschichte vom »Kindertrommler« aus dem Dorf Bruc, der durch seine Perkussionskünste im spanischen Unabhängigkeitskrieg zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts Napoleons Armee in die Flucht geschlagen haben soll. Der Junge namens Isidoro war zwar zu klein, um in den Krieg zu ziehen, aber alt genug, um listig zu sein: Er trommelte und spielte mit dem Echo der Berge, so dass den Franzosen suggeriert wurde, dass sich im Sandsteingebirge Tausende Trommler – und damit noch viel mehr Soldaten – versteckt hielten. Daraufhin sollen die Franzosen stiften gegangen sein, so geht die Legende.
Übrigens ist Montserrat auch ein urkatalanischer Mädchenname. Den trägt beispielsweise die Opernsängerin, die unter anderem mit Freddie Mercury die unvergessliche Hymne: »Baaaarrrrcccceeeellllooona« für alle Freunde des gepflegten Klassik-Pop geträllert hat: Montserrat Caballé.
Aber genug von Montserrat! Denn den habe ich eigentlich nur erwähnt, weil ich von Xavi erzählen wollte. Der ist nämlich ein passionierter Kletterer und sieht so drahtig aus, dass man meinen könnte, er wäre jedes einzelne dieser Sägeblätter im Montserrat hochgestiegen. Die Gerichte, die er abends in seiner Küche zaubert, sind wie er: erdig, natürlich, leidenschaftlich, lokalpatriotisch und, um noch mal auf seine Bergsteigerleidenschaft zu kommen, der GIPFEL des Leckeren!
Als wir bei unserer Begegnung auf dem Gipfel Rast machten und in alle Himmelsrichtungen schauten, erklärte mir Xavi, dass er fast alles, was er zum Kochen braucht, aus dem Umland bezieht. Wein aus dem Penedés, Priorat oder Montsant, Öl aus Riudoms im Baix Camp, Fisch und Meeresfrüchte von der Costa Brava, das gute Fleisch aus der Gegend um Girona. Und Pilze, klar, von den satten Wiesen auf dem Land.
Pilze sind für die Katalanen ein Heiligtum. Wahrscheinlich deshalb, sagte Xavi scherzend, weil die Katalanen wie die Schotten oder die Schwaben als absolute Geizhälse gelten und die Pilze umsonst zu haben sind. »Kein Wunder also, dass sie ihnen besonders gut schmecken.«
Ein Anthropologe namens Josep María Ferigla will freilich einen völlig anderen Grund für die Pilzvorliebe der Katalanen herausgefunden haben: In Katalonien wächst, wie auch in den Alpen, der Amanita muscaria, vulgo Fliegenpilz. Man kennt den roten Pilz mit den weißen Punkten ja vor allem aus Märchenbüchern undWalt-Disney-Filmen, wo er irgendwie Glück und Freude
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