Ein Tag, zwei Leben (German Edition)
hielt nicht an. Als wir an einer Bar vorbeikamen, die noch offen hatte, ging er zu meiner Überraschung direkt darauf zu. Noch überraschter war ich, dass mich an der Tür niemand nach meinem Ausweis fragte. Ich bezweifelte, dass das eine Bar war, in der auch Minderjährige zugelassen waren.
Drinnen herrschte Betrieb. So war das wohl in Lokalen, die sehr lang aufhaben – am Ende landeten alle dort. Ethan zeigte auf einen freien Tisch hinten in der Ecke und wir steuerten zielstrebig darauf zu.
Ich setzte mich, aber er blieb stehen. » Ich hole uns was zu trinken. Was möchtest du?«
» Cola mit Rum«, sagte ich und fragte mich, ob es in diesem Leben anders schmecken würde. Das war mir schon öfter passiert.
Er zog die Augenbrauen nach oben. Ich ebenfalls.
» Du bist minderjährig, Sabine.«
» Ich denke, ich habe bewiesen, dass sich darüber streiten lässt, Ethan.« Ich hielt seinem Blick stand. Ich wollte heute Abend nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. Wenigstens heute Abend wollte ich meine eigenen Entscheidungen treffen.
Als ich sah, dass er sich auf die Lippe biss, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Er sagte nichts mehr, sondern verschwand im Gewimmel. Hoffentlich erwartete mich bei seiner Rückkehr nicht ein alkoholfreies Getränk und eine Gardinenpredigt.
Ich ließ mich in meinem Sessel zurücksinken. Die Musik war laut und ich gab mich ihr hin; mein Körper fing an, sich im Takt zu bewegen. Mir gefiel das Lokal. Ich wünschte, ich könnte öfter abends ausgehen. Die Stadt veränderte sich zur Geisterstunde wirklich – und zwar zum Besseren.
» Sabine?«
Ich zuckte zusammen und fuhr herum.
Oh, große Mutter aller Dinge, die meine Leben ruinieren.
Shit.
» Davis! Hi!«, sagte ich, vollkommen panisch. Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass mir jemand über den Weg laufen könnte. Ich war so eine Idiotin. Ich hätte mich wenigstens umsehen sollen, bevor wir uns hinsetzten – und dann auch noch ausgerechnet Davis.
Ich kleisterte mir ein falsches Grinsen aufs Gesicht. » Wie geht es dir?«, brüllte ich, um die Musik zu übertönen.
» Sollte ich das nicht dich fragen? Capri hat mich angerufen, nachdem sie mit dir gesprochen hat. Sie sagte, dass du im Krankenhaus bist und dass sie morgen deine kleine Schwester besuchen gehen müsste.« Davis war groß und anders als Angus war er adrett. Er war ein netter Kerl, aber immer wenn ich ihn sah, dachte ich an meinen Vater. Die Art und Weise, wie er sich immer so makellos präsentierte und seine Worte so sorgfältig wählte, brachte mich völlig aus dem Konzept. Es war, als würde er geradewegs nach Anerkennung lechzen. Manche Mädchen mochten in einem potenziellen Freund eine Version ihres Vaters suchen – ich gehörte eindeutig nicht zu ihnen.
Ich stand auf und versuchte, wieder ein wenig Fassung zu erlangen … und einen Plan zu schmieden.
» Ich, ähm … Davis, es ist kompliziert.«
Er trat einen Schritt näher, betrachtete mein Outfit und blickte dann auf mein gebrochenes Handgelenk. » Wie? Bist du nun krank oder nicht?«
» Na ja, sie dachten, dass ich es wäre, aber …«, stammelte ich.
In diesem Moment schlang sich von hinten ein Arm um meine Taille. Warme, sanfte Hände breiteten sich über meinen Bauch, und Ethan zog mich nach hinten an seine Brust und drückte mir einen einzigen, Knie erweichenden Kuss auf den Nacken, bevor er sein Kinn auf meine Schulter legte und direkt in Davis’ verblüfftes Gesicht sah. Hitze breitete sich in meinem Körper aus, jedes Nervenende erwachte plötzlich zum Leben.
Als Ethan sprach, sorgte er dafür, dass es laut genug war, damit Davis es hören konnte. » Ich habe dir doch gesagt, dass letztendlich alle dahinterkommen würden, Sabine.«
Die Worte kamen ihm so leicht über die Lippen und seine Stimme war von einer sanften Geschmeidigkeit, dass sich mir die Härchen auf den Armen aufstellten. Seine Arme blieben weiterhin um mich geschlungen, und ich konnte nicht umhin festzustellen, wie anderes sie sich im Vergleich zu Dex’ anfühlten. Nein, wie anders sie mich empfinden ließen.
Die Stelle, an der Ethan mich flüchtig geküsst hatte, brannte, und bevor ich wusste, was ich tat, übernahm mein Körper die Kontrolle und ich lehnte mich in seine Arme zurück.
Shit!
» Sabine, was geht hier vor? Bist du mit diesem Typen zusammen?«, fragte Davis, seine Blicke waren wie Dolche auf die Hände auf meinem Bauch geheftet.
Das passiert jetzt nicht wirklich, redete ich mir ein.
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