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Ein Tag, zwei Leben (German Edition)

Ein Tag, zwei Leben (German Edition)

Titel: Ein Tag, zwei Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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ich.
    Ich sah den Schmerz in seinen Augen, bevor er rasch den Blick abwandte und wieder auf den See hinausblickte. » Vor drei Jahren hat es bei uns zu Hause gebrannt. Ich war zu der Zeit mit meiner damaligen Freundin zelten.« Er räusperte sich. » Es konnte mich nicht einmal jemand erreichen. Ich habe erst vier Tage später erfahren, dass sie gestorben waren.«
    Mein Herz zog sich zusammen. Ich wollte ihm sagen, wie leid mir das tat, aber die Worte erschienen mir so sinnlos und leer. » Deshalb bist du so … Deshalb kümmert es dich …«
    Er zog wieder die Augenbrauen nach oben. » Ob du lebst oder stirbst?«
    Ich zog eine Grimasse, nickte jedoch.
    » Teilweise«, erwiderte er, während er ein Stück Papier aus der Tasche zog. » Bevor ich es vergesse.«
    Er wechselte das Thema. Ich sah mir die Liste an und unterdrückte einen Seufzer. Noch mehr davon. Überwiegend Sprachen und Fragen über Chemie, wofür ich dankbar war. Wenigstens musste ich keine ellenlangen mathematischen Gleichungen lösen. Ich lernte die Liste auswendig, und als ich sie eingesteckt hatte, packte ich Ethan am Handgelenk und drehte es um, um zu sehen, wie spät es war. Elf Uhr. Nervös biss ich mir auf die Innenseite der Wange.
    » Sie geht auf die Sekunde genau, das schwöre ich dir«, sagte er.
    Trotz des Abends zuvor glaubte ich ihm.
    » Willst du hier draußen bleiben, mit mir? Während du … Um Mitternacht, meine ich.« Das Wort » Wechsel« kam ihm noch immer nicht über die Lippen – es würde bedeuten, dass er mir glaubte, aber offenbar war er sich noch immer nicht darüber im Klaren.
    Normalerweise hasste ich es, unter Menschen zu sein, wenn ich überwechselte. Hasste es, an einem unbekannten Ort zu sein. Aber heute Nacht … heute Nacht ertappte ich mich dabei, wie ich nickte, was Ethan sehr zu freuen schien.
    » Was ist mit deiner Freundin passiert?«, fragte ich irgendwann.
    Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er schmunzelte. » Sie war nicht die Richtige.«
    » Du bevorzugst also einen bestimmten Typ?«, scherzte ich, obwohl mein Herz hämmerte.
    Er neigte den Kopf zu mir, in seinem Blick lag Belustigung. » Nein, ich war immer eher daran interessiert, jemand Einzigartiges zu finden.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln, aber er bemerkte es und ich hörte sein leises Glucksen.
    Wir starrten zum Himmel hinauf und sagten ab und zu etwas. Ethan stellte zwar Fragen, bombardierte mich aber nicht damit oder drängte mir seine Ansichten oder Urteile auf … nicht allzu sehr jedenfalls. Zum ersten Mal in meinem Leben – in beiden Leben – hatte ich das Gefühl, ehrlich über meine Leben reden zu können. Und jedes Mal wenn ich sein Handgelenk berührte, hob er den Arm, um mir die Uhrzeit zu zeigen, als hätten wir das schon immer so gemacht.
    Ich versuchte, cool zu bleiben, doch ein paar Minuten vor Mitternacht konnte ich das Zittern nicht unterdrücken. Ethan sagte nichts, sondern nahm einfach meine Hand in seine. Und als ich den Wechsel vollzog, hoffte ich, er würde nie mehr loslassen.
    In den folgenden Tagen tat ich alles, worum Ethan mich bat; in Wellesley schlich ich mich in den Mittagspausen weg, um die Antworten auf seine Fragen im Internet zu finden. Ich fand sogar ein halbwegs zuverlässiges Übersetzungsprogramm für die Sprachen. Ich wechselte zwischen meinen Welten hin und her, wahrte in Wellesley den Schein und lieferte Ethan alle Beweise, die er verlangte.
    Jedes Mal wenn ich zurück nach Roxbury wechselte, war er da und hielt meine Hand, spielte meinen Anker. Jedes Mal sah er mich aufmerksam an, als würde er etwas suchen. Ich weiß nicht, was er suchte. An dem Abend nach der Nacht im Park gingen wir in ein Café, doch ich schlug vor, am folgenden Abend wieder in den Park zu gehen. Dort schien er am glücklichsten zu sein.
    Ethan stellte mir viele Fragen. Manche konnte ich beantworten, andere nicht, auf wieder andere … gab es keine Antwort, die er hätte hören wollen. Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht daran glaubte, dass es möglich sei, in beiden Welten ein glückliches Leben zu führen.
    Freitagnacht lagen wir unter der Trauerweide und ich war gerade aus Wellesley zurückgewechselt und hatte meine Antworten vorgetragen – wieder einmal, alle fehlerfrei –, als es plötzlich über mich kam.
    » Was soll ich deiner Meinung nach tun, Ethan? Was soll passieren, wenn ich eines Tages heirate? Kinder bekomme? Soll ich das in beiden Welten tun? Jeden Tag meine Kinder zurücklassen und in eine andere

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