Ein Tag, zwei Leben
angenehmes Gespräch werden. Ich beschloss, die Einzelheiten vorerst so vage wie möglich zu halten. Und da war noch die Sache mit dem Geld; Dad würde das nicht gefallen. Trotzdem konnte ich nicht anders – Vorfreude stieg ein wenig zaghaft in mir auf. Endlich hatte ich es jemandem erzählt.
Ich wartete.
Dad würde kommen, um mich zu holen. Ich hoffte, dass wir dann ein paar Minuten allein sein konnten, damit er mich darüber aufklären konnte, wie Mom alles aufnahm.
Ich wartete.
Es kam mir vor, als würde der ganze Tag verstreichen, zumindest mehrere Stunden.
Es war still. Mir waren die Theorien und Redeentwürfe ausgegangen, und ich fragte mich allmählich, ob sie überhaupt noch da waren. Ich wollte gerade nachschauen, als ich unten an der Haustür ein Klopfen hörte.
Ein hartes Klopfen. Drei lebensverändernde Schläge.
Ich wusste nicht, warum genau, aber mein Magen drehte sich und ich wich instinktiv von meiner Zimmertür zurück.
Ich hatte es noch nicht mal bis zum Fenster geschafft, als Dad die Tür aufmachte und für einen Mann und eine Frau aufhielt, die hereinkamen. Dahinter kam unser Hausarzt, der neben Dad stehen blieb.
Das Bett war zwischen ihnen und mir – und da in mein Zimmer praktisch nur das Bett hineinpasste, war ich sofort in der Defensive. Ich konnte sehen, wie sich der Mann und die Frau ausrechneten, wie sie die Entfernung zurücklegen konnten.
Diese Leute waren nicht meine Freunde.
Diese Leute waren mein schlimmster Albtraum.
» Sabine«, sagte mein Vater – nicht mehr Dad – mit tiefer, befehlender Stimme. » Sabine, wir versuchen, dir zu helfen. Diese Pfleger sind hier, um dir zu helfen.«
Sie streckten ihre Hände aus – das erinnerte mich daran, wie Dex sich mir letzte Nacht genähert hatte –, als wäre ich ein wildes Tier. Und in diesem Moment fühlte ich mich auch genau so.
In der Falle.
Mein Blick huschte von der Tür zum Bett, zu den Leuten, die versuchten, mich einzufangen, und dann zum Fenster. Aber ich war in die Ecke getrieben. Mein Vater und ich wussten es beide.
» Es ist okay«, sagte er zu dem Mann und der Frau. Sie trugen weiße Hosen und Kittel, ähnlich wie die Drogeriemarktuniformen.
Die Luft wich mir aus den Lungen. Ich wusste, was als Nächstes kommen würde.
» Das Fenster ist blockiert«, sagte er.
Mistkerl.
Außer mir vor Wut sah ich meinen Vater an. » Wie kannst du mir das nur antun? Oh, verstehe. Es geht hier gar nicht um mich – du willst nur das Problem beseitigen!«, schrie ich.
» Sabine«, sagte die Frau in berufsmäßig beruhigendem Tonfall. Ihr mausgraues Haar war stramm geflochten und betonte ihre übermäßig roten Wangen. Sie warf mir ein falsches Lächeln zu, als könnten wir beide gute Freunde werden. Ich sah ihr starr in die Augen und sie wandte den Blick ab. Ein kleiner Sieg, aber er würde nicht lange andauern. Ich war eingekreist.
» Es geht dir nicht gut, Sabine«, sagte mein Vater. » Deine Mutter ist krank vor Sorge. Sie will, dass dir geholfen wird. Dr. Meadows erweist uns mit seinem Kommen einen ganz besonderen Gefallen – er kennt einen Arzt in der Klinik, zu dem er dich gern bringen würde. Er kann dich sofort dazwischenschieben. Sie werden dafür sorgen, dass es dir besser geht. Bitte, mach jetzt keine Szene.« Sein Blick fügte den Satz hinzu, den er nicht laut aussprach: Sie nehmen dich so oder so mit.
Der Mann und die Frau machten einen weiteren vorsichtigen Schritt in meine Richtung. Der Mann, der kurz rasierte Haare hatte, schob sich jetzt langsam um das Fußende des Bettes herum. Ich stand mit dem Rücken zur Wand und konnte nicht weg.
Ich konnte nicht aufhören, den Kopf zu schütteln. Ich fühlte mich so verraten. » Hast du überhaupt darüber nachgedacht? Auch nur eine Sekunde lang, als du mir vorhin zugenickt hast, damit ich fortfahre? Hast du überhaupt zugehört, was ich gesagt habe?«
» Oh, ich habe zugehört, Sabine. Deshalb sah ich mich auch gezwungen, Hilfe zu holen. Du leidest an Wahnvorstellungen. Du stellst eindeutig eine Gefahr für dich selbst dar, möglicherweise auch für andere. Wenn du wissen willst, ob ich es für möglich halte, dass meine Tochter ein zweites Leben führt, dann lautet die Antwort nein.«
Sie machten noch einen Schritt.
Mein Herz raste, der Puls schlug mir bis zum Hals.
» Deshalb lässt du mich einfach wegsperren?«
Mein Vater seufzte ungeduldig. » Wenn das notwendig ist, damit es dir besser geht, dann ja.«
» Das kannst du nicht! Ich bin achtzehn!« Ich
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