Ein Tag, zwei Leben
wir uns gut um sie kümmern. Im Moment ist das Wichtigste, dass sie nicht noch mal versucht, sich das Leben zu nehmen.«
Jemand räusperte sich. Ich öffnete wieder um einen Bruchteil die Augen, gerade als Ethan sich von der Wand abstieß. » Ach, Dr. Levi, ich … ich bin mir nicht so sicher, dass sie das getan hat. Sie schien sehr wohl zu wissen, dass die Verletzungen, die sie sich zugefügt hatte, nicht lebensbedrohlich waren. Ich habe die Wunden selbst verbunden. Sie sehen fies aus, aber für jemanden, der derzeit unter SP steht, hat sie unglaublich darauf geachtet, keine wichtige Ader zu erwischen.«
» Sie hat sich ihren eigenen Arm gebrochen«, brauste mein Vater auf.
Ethan ließ sich davon nicht stören, was mich beinahe zum Lächeln brachte. » Auch da bin ich mir nicht sicher.«
Ich hätte Ethan am liebsten applaudiert und meinem Vater den Mittelfinger gezeigt.
Dr. Levi nutzte diesen Moment, um sich einzumischen. » Hast du einen Vorschlag, wonach wir suchen sollen, Ethan? Du hast es ja eindeutig schon geschafft, Informationen aus ihr herauszubekommen.«
Ethan schwieg einen Augenblick, dann seufzte er. » Ich weiß nicht. Wie Sie schon sagten macht sie gerade eindeutig irgendein psychisches Trauma durch. Sie war gestern Abend starr vor Angst, weil sie festgeschnallt war, ganz besondere Angst hatte sie vor Mitternacht.«
Mein Mut sank, als ich hörte, wie abgeklärt er mich analysierte.
» Was ich gern wissen würde, ist, seit wann sie so verstört ist, dass sie sich eine völlig andere Welt erschaffen hat.« Zum ersten Mal sagte Mom etwas. Heute weinte sie nicht. Nein, sie hatte sich zusammengerissen, wie Mom es immer tat, und jetzt hatte sie eine Mission.
» Andere Welt? Wie bitte?«, sagte Ethan.
Mom richtete sich auf. » Meine Tochter glaubt, dass sie in einer alternativen Realität lebt. Sie sagt, sie ginge jede Nacht dorthin. In ein anderes Lebe n !«
» Oh, mein Gott«, flüsterte Ethan. Ich verspürte das Bedürfnis aufzuspringen und ihm zu sagen, dass es so nicht war, aber eigentlich … war es so. Ihnen war nur nicht klar, dass das nicht wahnhaft war.
» Ethan, du kannst uns bei dieser Patientin vielleicht eine Hilfe sein«, sagte Dr. Levi.
Mein Vater machte ein verächtliches Gesicht. » Er ist ein Pfleger. Er wird wohl kaum das Handwerkszeug haben, so etwas zu bewältigen.«
» Tatsächlich ist Ethan nicht nur Pfleger, sondern er studiert auch Psychologie. Er ist einer meiner Star-Studenten und hat eine sehr vielversprechende Zukunft vor …« Dr. Levi unterbrach sich mitten im Satz, bevor er verlegen weitersprach. » Eine Beziehung herzustellen, ist in dieser Art von Fällen unerlässlich. Wenn Sabine bereits eine Beziehung zu Ethan hergestellt hat, ist er unsere beste Hoffnung, sie dazu zu bringen, sich zu öffnen.«
» Oh, ich glaube nicht … ich kann nicht … Nein. Sie braucht jemand … jemand Besseres«, stammelte Ethan.
» Ich werde auch da sein«, fuhr Dr. Levi fort, als hätte Ethan gar nichts gesagt. » Ich werde sie beurteilen, wenn sie aufwacht, und täglich eine Session mit ihr abhalten. Aber wenn Dr. Meadows nichts dagegen hat, wird Ethan während der Nachtschicht für sie verantwortlich sein. Das ist nicht unbedingt eine konventionelle Methode, aber es ist möglicherweise die Zeit, in der sie sich am ehesten öffnen wird.«
Wieder schaltete sich Ethan ein. » Dr. Levi, ich bin nicht der … Sie wissen genau, weshalb das nicht … Bitte, nicht …«
» Ethan, wo liegt das Problem? Du bist sowieso hier. Da kannst du dich genauso gut mit ihr beschäftigen.« Dr. Levi zuckte mit den Achseln, als wäre damit alles gesagt.
Bevor Ethan erneut widersprechen konnte, drehte ich mich um, hielt dabei jedoch die Augen geschlossen.
» Sie wacht auf«, sagte Dr. Meadows.
Ach nee.
» Hier sind ein paar von ihren Sachen«, sagte Mom rasch.
» Wir haben alles überprüft, wie sie verlangt haben«, fügte mein Vater hinzu.
» Danke. Wollen Sie noch hierbleiben, um mir ihr zu sprechen?«, fragte Dr. Meadows.
» Ähm, nein. Wir müssen in den Drogeriemarkt zurück. Wir schauen in den nächsten Tagen mal vorbei«, sagte er. Ich hörte ihre Schritte, als sie zur Tür gingen.
» Na schön. Ich versichere Ihnen, dass sie in guten Händen ist.«
Ich hörte, wie mein Vater stehen blieb. Als er anfing zu sprechen, klang seine Stimme leise und vertraulich. » Dr. Levi, bestimmt verstehen Sie uns. Wir arbeiten in dieser Branche. Es wäre nicht gut, wenn allzu viel davon in die
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