Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
Wighards Tod näher zu untersuchen.»
Der Medikus schnaubte verächtlich. «Da gibt es nicht viel zu untersuchen, Schwester. Die Tatsachen liegen auf der Hand.»
«Dann könnt Ihr uns also sagen, wie er gestorben ist?»
«Er ist erdrosselt worden.»
Fidelma erinnerte sich an ihr Zusammentreffen mit Wighard in Witebia, wo er als scriba Erzbischof Deusdedits aufgetreten war.
«Soweit ich mich erinnere, war Wighard ziemlich groß und kräftig. Nur ein sehr starker Mensch hätte ihn erdrosseln können.»
Cornelius schniefte. Offenbar hatte er die ärgerliche Angewohnheit, seine Worte durch unüberhörbare Nasengeräusche zu unterstreichen. «Ihr wärt erstaunt, Schwester, wenn Ihr wüßtet, wie einfach es ist, selbst einen kräftigen Mann zu erwürgen. Ein bloßes Abdrücken der Arteria carotis und der Jugularvenen im Nacken reicht aus, um die Versorgung des Gehirns mit Blut zu unterbinden, und das führt zu sofortiger Bewußtlosigkeit. Das Ganze dauert allerhöchstens drei Sekunden.»
«Vorausgesetzt, das Opfer läßt zu, daß ihm jemand die Adern im Nacken abdrückt», erwiderte Fidelma nachdenklich. «Wo befindet sich Wighards Leichnam jetzt? Noch immer in seinen Gemächern?»
Cornelius schüttelte den Kopf. «Ich habe ihn ins mortuarium bringen lassen.»
«Wie schade.»
Ihr unterschwelliger Tadel schien Cornelius zu verärgern.
«Von mir könnt Ihr alles über Wighards Tod erfahren, Schwester», erwiderte er kühl.
«Vielleicht», antwortete Fidelma leise. «Zeigt uns Wighards Leiche. Dann könnt Ihr uns erklären, wie Ihr zu Euren Erkenntnissen gelangt seid.»
Cornelius zögerte, dann verbeugte er sich mit einem leicht spöttischen Grinsen. «Wenn Ihr mir bitte folgen wollt», sagte er und führte sie durch eine kleine Tür zu einer steilen Wendeltreppe. Sie kamen durch einen langen, düsteren Gang in eine große, kalte, mit Marmor geflieste Halle, wo auf mehreren Steinplatten in fleckige Leinentücher eingehüllte Leichen lagen.
Cornelius trat auf eine der Platten zu und schlug das Tuch zurück.
«Wighards Leiche», verkündete er nasal und deutete auf die blasse, wachsgesichtige Gestalt.
Fidelma und Eadulf traten näher, um den Leichnam zu betrachten, während sich Licinius unauffällig im Hintergrund hielt. Im Leben war Wighard von Canterbury ein großer, lebensfroher Mann mit grauem Haar und rundlichem Gesicht gewesen, auch wenn sich hinter seinem harmlosen Äußeren, wie Fidelma aus ihrer Zeit in Witebia wußte, kühle Berechnung und rücksichtsloser Ehrgeiz verborgen hatten. Seine Augen hatten sie stets an die eines gerissenen Fuchses erinnert. Ohne Muskelspannung hing das blasse, wächserne Fleisch schlaff herunter, so daß er kaum wiederzuerkennen war.
Fidelmas Blick fiel auf die Blutergüsse an seinem Hals.
Mit einem finsteren Lächeln trat Cornelius vor. «Wie Ihr seht, Schwester, ist er tatsächlich erdrosselt worden.»
«Wenn auch nicht mit bloßen Händen.»
Offenbar erstaunt über ihre Beobachtungsgabe, zog Cornelius die Augenbrauen hoch.
«Ihr habt recht. Er ist mit seiner Gebetsschnur erdrosselt worden.»
Damit meinte er die geknotete Schnur, die den Geistlichen als Gürtel, aber auch als Gedächtnisstütze für ihre Gebete diente, denn die Anzahl der Knoten stand für die Gebete, die sie im Laufe eines Tages sprechen mußten.
«Sein Gesicht wirkt so ruhig, als würde er schlafen», bemerkte Fidelma. «Nichts deutet auf ein gewaltsames Ende hin.»
Der alexandrinische Chirurgus zuckte die Achseln. «Wahrscheinlich ging alles so schnell, daß er gar nicht merkte, was mit ihm geschah. Wie ich schon sagte, dauert es nicht lange, bis das Opfer die Besinnung verliert, wenn die entsprechenden Adern abgedrückt werden. Hier … und hier.» Er zeigte auf Wighards Hals. Wie ein Lehrer, der begabten Schülern sein Wissen vermittelt, begann er zu erklären. «Es war der große Medikus Galen von Pergamon, der diese Arterien entdeckte und bewies, daß sie Blut und nicht Luft enthalten, wie man bis dahin angenommen hatte. Er nannte sie Arteria carotis nach dem griechischen Wort für Benommenheit, um damit anzuzeigen, daß ihr Abdrücken unweigerlich zur Bewußtlosigkeit führt …»
«Und ich habe immer gedacht», warf Bruder Eadulf mit einem belustigten Seitenblick zu Schwester Fidelma ein, «Herophilus, der dreihundert Jahre vor Christi Geburt die große Schule der Medizin in Eurer Heimatstadt Alexandria gründete, hätte längst klargestellt, daß unsere Arterien Blut und nicht Luft
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