Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
antwortete Fidelma zögernd. «Aber in dem Fall hätte er seine Gebetsschnur entweder in der Hand gehalten oder um seinen Bauch getragen. Wir wissen aber, daß der Mörder rasch gehandelt haben muß, so rasch, daß Wighard gar nicht erst dazu kam, sich zu wehren. Offenbar hat der Mörder sich schon vorher in den Besitz der Schnur gebracht, denn einen Kampf hat es nicht gegeben.»
Eadulf stimmte zögernd zu.
«Kann ich aufstehen?» fragte Cornelius, dem die Haltung offenbar unbequem war, mit mißmutiger Stimme.
«Natürlich», erwiderte Fidelma schuldbewußt. «Ihr habt uns sehr geholfen, Medikus. Ich glaube nicht, daß wir Eure Dienste noch weiter beanspruchen müssen.»
Laut schnaubend erhob sich Cornelius von dem Bett.
«Und was ist mit der Leiche? Seine Heiligkeit beabsichtigt, gegen Mittag für Wighard ein Requiem in der Basilika zu halten. Danach wird seine Leiche zum Metronia-Tor gebracht und auf dem christlichen Friedhof außerhalb der aurelianischen Mauer begraben werden.»
«Ein so rasches Begräbnis?»
«So ist es in diesem Land nun einmal Sitte.»
«Bei der großen Hitze sind Beerdigungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt der öffentlichen Gesundheit zuträglich», erklärte Eadulf.
Fidelma nickte geistesabwesend, den Blick starr auf die zerknitterte Überdecke gerichtet. Dann sah sie auf und lächelte Cornelius freundlich an. «Ich brauche den Leichnam nicht noch einmal zu sehen. Der Heilige Vater kann die Beerdigung nach seinem Belieben veranlassen.»
An der Tür blieb Cornelius zögernd stehen. Offenbar wollte er nichts verpassen. «Kann ich noch irgend etwas …?»
«Nein», entgegnete Fidelma mit Nachdruck und wandte sich wieder Wighards Bettstatt zu.
Der alexandrinische Chirurgus schnaubte, drehte sich um und verließ das Zimmer.
Neugierig beobachtete Eadulf, wie Fidelma das Bett noch einmal eingehend betrachtete. «Habt Ihr etwas gesehen, Fidelma?»
Die irische Schwester schüttelte den Kopf. «Aber es gibt etwas, das ich noch nicht verstehe. Etwas, das …» Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. «Morann von Tara, mein alter Meister, sagte immer: Mutmaße nichts, ehe du nicht alles weißt, was es in Erfahrung zu bringen gibt.»
«Ein weiser Mann», sagte Eadulf.
«So weise, daß er zum obersten Richter Irlands berufen wurde», meinte Fidelma nickend. Sie deutete auf das Fußende des Bettes. «Bisher haben wir also Wighard, der vor seinem Bett stand oder kniete und angesichts der späten Stunde dabei war, sich auf die Nachtruhe vorzubereiten. Wollte er gerade die Decke zurückschlagen und sich zum Schlafen auskleiden, oder kniete er betend vor seinem Bett?»
Nachdenklich starrte sie auf die Decke, als erwarte sie von ihr die entscheidende Eingebung.
«Was auch immer er gerade tat, wir müssen davon ausgehen, daß er der Tür den Rücken zugewandt hatte. In diesem Augenblick tritt sein Mörder ein, und zwar so leise, daß Wighard keinerlei Verdacht schöpft, ja, sich nicht einmal zu ihm umdreht. Und dann ist dieser Mörder auch noch in der Lage, sich Wighards Gebetsschnur zu greifen und ihn so rasch zu erdrosseln, daß es zu einem Kampf gar nicht mehr kommen kann.»
«Nach dem, was wir bisher wissen, muß es ungefähr so gewesen sein», stimmte Eadulf zu. «Vielleicht sollten wir jetzt mit diesem Bruder Ronan sprechen und sehen, ob er Licht ins Dunkel bringen kann.»
«Bruder Ronan kann ruhig noch einen Augenblick warten», erwiderte Fidelma und sah sich im Zimmer um. «Bischof Gelasius sagte, die Geschenke, die Wighard für den Heiligen Vater mitgebracht hatte, seien in der Mordnacht gestohlen worden. Ihr als Wighards Sekretär müßtet doch wissen, wo die Geschenke aufbewahrt wurden, Eadulf.»
Der sächsische Mönch deutete auf die Tür zum Wohnzimmer. «Sie waren in einer großen Truhe verstaut.»
Gemeinsam kehrten sie in das erste Zimmer zurück, in dessen einer Ecke eine große, eisenbeschlagene Truhe stand. Der Deckel war offen, die Truhe vollkommen leer.
«Was wurde in der Truhe aufbewahrt, Eadulf? Wißt Ihr darüber Bescheid?»
Eadulf lächelte stolz. «Als scriba des Erzbischofs war ich selbstverständlich eingeweiht. Alle sächsischen Königreiche hatten Wighard Geschenke für den Heiligen Vater mitgegeben. Mit diesen Geschenken wollten sie ihre Bereitschaft bekunden, sich der Entscheidung von Witebia zu unterwerfen, die Vorherrschaft Roms anzuerkennen und Canterbury als wichtigsten Bischofssitz Britanniens zu achten. Unter den Geschenken befand sich ein kostbarer
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