Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
lege – wiederum im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern – viel Wert auf Musik während des Gottesdienstes.
Anders als die anderen Trauernden folgte Fidelma Wighards Sarg nicht mit gebeugtem Kopf. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich umzusehen, die Einzelheiten der Zeremonie zu beobachten und die Gesichter der anderen Prozessionsteilnehmer zu studieren. Vielleicht gehörte eines dieser feierlichen, ernsten Gesichter Wighards Mörder.
Wie sollte sie das deuten, was sie über Wighards gewaltsamen Tod in Erfahrung hatte bringen können? Offenbar war etwas faul an der Sache, auch wenn man Bruder Ronan Ragallachs merkwürdiges und verdächtiges Verhalten in Betracht zog. Ja, gerade dieses Verhalten ließ sie an seiner Schuld zweifeln. Kein Mörder würde soviel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wie es der irische Bruder getan hatte. Und auch die genaueren Umstände von Wighards Tod sowie die fehlenden Wertgegenstände widersprachen der Erklärung, die Bischof Gelasius und superista Marinus für so einleuchtend hielten.
Während die Prozession im Schatten des Mons Caelius und der Ruine der tullianischen Stadtmauer langsam vorankam, stimmten die Chorknaben einen leisen, traurigen Klagegesang an:
Nos miseri homines et egeni
Wir armseligen Menschen und Bedürftigen …
Durch die eindrucksvollen Portale des Metronia-Tors gelangten sie schließlich vor die Mauern der alten Stadt.
Der christliche Friedhof jenseits der aus dem dritten Jahrhundert stammenden, alle sieben Hügel umfassenden aurelianischen Mauer war erstaunlich groß. Überrascht betrachtete Fidelma die Vielfalt der Grabmäler, Grüften und Mausoleen.
Eadulf, der ihr Erstaunen bemerkte, löste sich aus dem Trauerzug. «Die alten römischen Gesetze verboten Beisetzungen innerhalb der von Servius Tullius, dem sechsten König von Rom, festgelegten Stadtgrenzen, und als die Bevölkerung wuchs, wurde diese Grenze noch einmal um eine Meile ausgeweitet. Deshalb werdet Ihr viele Friedhöfe, so wie diesen, außerhalb der Stadtmauern finden.»
«Und ich dachte immer, wegen der Christenverfolgung hätten die Gläubigen ihre Toten in Rom in großen unterirdischen Gewölben bestattet», entgegnete Fidelma.
Eadulf schüttelte lächelnd den Kopf. «Mit der Christenverfolgung hatte das wenig zu tun. Die frühen Anhänger des Glaubens, zumeist Griechen, Juden oder Römer, folgten einfach ihren alten Sitten und brachten die Überreste ihrer Toten in Urnen oder Sarkophagen in die unterirdischen Totenkammern. Erst im letzten Jahrhundert wurde dieser Brauch allmählich abgeschafft.»
Als der letzte Segen erteilt war, trat der Trauerzug, angeführt von den Chorknaben mit dem Gloria Patri , einem triumphierenden Lobgesang dafür, daß Wighards Seele den himmlischen Frieden gefunden hatte, den Rückweg an. Wie angemessen, dachte Fidelma, auf dem Weg zum Grab klagende Gesänge und bei der Rückkehr fröhliche Dankeslieder anzustimmen.
«Wir müssen dringend unseren Fall besprechen», raunte sie Eadulf ins Ohr.
«Dafür haben wir doch noch genügend Zeit – ich meine, jetzt, wo wir wissen, daß Ronan Ragallach schuldig ist», widersprach Eadulf.
«Gar nichts wissen wir», gab Fidelma verärgert zurück.
Aufgeschreckt von ihrem scharfen Ton, wandten die Trauernden sich zu ihnen um. Errötend senkte Fidelma den Blick.
«Gar nichts wissen wir», wiederholte sie flüsternd.
«Aber es liegt doch auf der Hand», entgegnete Eadulf, ebenfalls verärgert. «Was braucht Ihr außer Ronans Flucht noch an Beweisen? Sein Ausbruch aus dem Gefängnis ist so gut wie ein Geständnis.»
Fidelma schüttelte heftig den Kopf. «Nein, keinesfalls.»
«Nun, meiner Ansicht nach ist Ronan eindeutig der Täter», erwiderte Eadulf stur.
Fidelma preßte die Lippen zusammen. Ein gefährliches Zeichen. «Darf ich Euch an unsere Übereinkunft erinnern: Die Entscheidung über Schuld oder Unschuld muß einstimmig getroffen werden. Ich werde weiter ermitteln … notfalls allein.»
Eadulf stand das Mißbehagen deutlich ins Gesicht geschrieben, denn für ihn war die Sache sonnenklar. Allerdings wußte er, daß Uneinigkeit für Bischof Gelasius weitaus schlimmere Folgen haben würde als ein ungeklärter Fall. Gleichzeitig regten sich Zweifel in ihm. Es ließ sich nicht leugnen, daß Schwester Fidelma ein beachtliches Talent dafür besaß, ein Rätsel auch dann noch zu lösen, wenn er selbst die Hoffnung längst aufgegeben hatte. Ihr Spürsinn bei der Aufklärung des Mordes an Äbtissin
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