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Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Titel: Ein Totenhemd fur einen Erzbischof Kostenlos Bücher Online Lesen
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zum Sprechen genommen. Kopfschüttelnd betrachtete sie der alte Mann und meinte ernst: «Der Junge sagte, Ihr wärt schon ziemlich lange hier unten und hättet nur eine Kerze mitgenommen. Es war dumm von Euch, so herumzutrödeln.»
    «Wir haben nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verstrich», keuchte Eadulf, sobald er seine Stimme wiedergefunden hatte.
    «Es sind schon genug Menschen durch eigenen Leichtsinn hier unten gestorben», grummelte der Alte. «Fühlt Ihr Euch stark genug, mir jetzt zu folgen? Dann werde ich Euch zurück zum Eingang bringen.»
    Fidelma und Eadulf nickten verlegen. Der Alte ging mit erhobener Laterne voran und sagte über die Schulter gewandt:
    «In den Katakomben haben schon viele ihr Leben gelassen. Tragische Todesfälle im Reich der Toten!» Er lachte rauh. «Das ist schon komisch, nicht wahr? Die Leute ziehen los, um sich die Gebeine der Heiligen und Märtyrer anzusehen, verirren sich und kommen selbst ums Leben. Andere werden wie Ihr von der Dunkelheit überrascht und finden deshalb nicht mehr zurück, es sei denn, sie haben Glück, wahres Glück! Wißt Ihr, wie weit die römischen Katakomben sich erstrecken würden, wenn man sie zu einem langen Tunnel vereinigte? Man hat ausgerechnet, daß ein solcher Tunnel fast sechshundert Meilen lang wäre. Sechshundert Meilen unter der Erde! Einige, die in den Katakomben verschwunden sind, blieben für immer verschollen. Vielleicht irren ihre Seelen noch immer hier unten umher, im Reich der Toten …»
    Voller Dankbarkeit erreichten sie die Stufen zum Mausoleum und traten blinzelnd hinaus ins helle Sonnenlicht.
    Der kleine Junge hockte noch immer mit ausdruckslosem Gesicht vor seinen Kerzen.
    Der alte Mann pustete seine Lampe aus und stellte sie neben dem Eingang zum Mausoleum ab. «Hätte der Junge mir nichts gesagt …» Er zuckte die Achseln.
    Aus ihrem marsupium , der Geldtasche in den Falten ihres Gewandes, zog Fidelma eine Silbermünze hervor und reichte sie dem Jungen, der sie einsteckte, ohne dabei irgendeine Regung zu zeigen. Unterdessen hatte auch Eadulf eine Münze hervorgekramt und sie dem alten Mann angeboten, doch der schüttelte nur den Kopf.
    «Die Münze für den Jungen reicht völlig aus», sagte er barsch. «Aber falls Ihr wollt, könnt Ihr das nächste Mal, wenn Ihr dort drüben in der prächtigen Kirche weilt», er zeigte auf die fernen Türme der Johannes-Basilika, «eine Kerze anzünden und ein Gebet für den Jungen sprechen.»
    Fidelma sah ihn fragend an. «Ihr erbittet nichts für Euch selbst, alter Mann?»
    «Der Junge hat Gebete nötiger als ich», grunzte der Alte abwehrend.
    «Warum denn das?»
    «Wenn meine Zeit gekommen ist, wird er auf dieser Welt ganz alleine sein. Ich bin alt, und meine Geschicke wurden in all den Jahren von einem gütigen Schicksal gelenkt. Aber der Vater des Jungen, der mein Sohn war, ist mir mit seiner Frau schon vorausgegangen. Der Junge hat niemanden, und vielleicht können Eure Gebete ihm ein besseres Leben bescheren, als dazu verdammt zu sein, tagein, tagaus hier zu hocken und fremden Pilgern Kerzen zu verkaufen.»
    Aufmerksam musterte Fidelma das gleichmütige Gesicht des Jungen. Die ruhigen, leeren Augen erwiderten ihren Blick ohne jeden Ausdruck.
    «Was würdest du auf dieser Welt denn lieber tun?» fragte sie sanft.
    «Was macht das schon? Ich kann ja doch nur hier sitzen und träumen», murmelte der Junge mit tonloser Stimme.
    «Und wovon träumst du?»
    Einen kurzen Augenblick lang blitzte es in den Augen des Jungen. «Ich würde gern lesen und schreiben können und in einem großen Kloster leben. Aber das geht ja nicht.»
    Das Licht in seinen Augen erlosch, und sein Gesicht erstarrte.
    «Weil wir uns den Unterricht nicht leisten können», seufzte der alte Mann. «Ich habe keinerlei Bildung, versteht Ihr», erklärte er, als müsse er sich entschuldigen. «Und ich habe kein Geld. Pilgern Kerzen zu verkaufen sichert nicht mehr als den dürftigsten Lebensunterhalt. Für irgendwelchen Luxus bleibt da nichts mehr übrig.»
    «Wie heißt du, Junge?» fragte Fidelma freundlich.
    «Antonio, Sohn des Nereus», antwortete der Junge, nicht ohne Stolz.
    «Wir werden für dich beten, Antonio», versicherte ihm Fidelma. Dann wandte sie sich an seinen Großvater und neigte den Kopf. «Und für Euch ebenfalls, Alter. Dank Euch für Eure Hilfe, die für uns gerade noch rechtzeitig kam.»
     

VII
     
    Trotz des späten Nachmittags war es noch immer heiß und schwül. Schwester Fidelma war vom

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