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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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in der Welt. Ich fand eine Stellung als Lagerarbeiter bei einer amerikanischen Einheit, der ich jedoch auf die Dauer körperlich nicht gewachsen war. Isoliert von den Menschen und von den Mädchen gemieden, überwand ich im autodidaktischen Studium die Mängel meiner Vorbildung und stieg dann nach und nach, inzwischen zur E UROMAG gewechselt, vom Büroboten und Pförtner zum Gruppenleiter auf, wobei mir zweifellos zugute kam, daß meine Vorgesetzten und Kollegen nie der Versuchung widerstehen konnten, mich zum Mittelpunkt ihrer Scherze zu machen, um dann bei der Beurteilung meines Verhaltens von ihrem schlechten Gewissen zu günstigen Aussagen getrieben zu werden.
    Ich vergaß wohl zu erwähnen, daß ich das Haus in Kladow, in dem Sie mich tot aufgefunden haben, von der oben erwähnten Tante geerbt habe. Das Haus und, wie sich leider – die Gründe tun nichts zur Sache – erst nach Jahren herausstellte, ein kleines Wertpapierdepot.
    Nun gestatten Sie mir bitte, daß ich näher auf die Umstände eingehe, die mir das Leben in der Sondergruppe für Systemplanung zur Hölle machen beziehungsweise gemacht haben. Sie sehen mich schwanken, ob ich für diesen Brief an Sie die Gegenwarts- oder die Vergangenheitsform wählen soll, was insofern schwierig zu entscheiden ist, weil ich im Augenblick der Niederschrift möglicherweise noch Monate meines Martyriums vor mir habe, Sie aber alles erst nach meinem Abgang von der Bühne des Lebens erfahren. Doch dies nur nebenbei.
    Gleichviel, generell läßt sich sagen, daß ich für meine Kollegen ständig eine ärgerliche Zumutung und eine als bedrohlich empfundene Herausforderung darstelle, weil ich rettungsloser Außenseiter bin und das verachte und verdamme, was sie schätzen. Als gefeierter Schriftsteller O.-W. Ossianowski wäre ich ein Original und könnte mich kaum vor denen retten, die Kontakte zu mir suchten. So aber lachen sie über das, was ich sage, und spotten über das, was ich denke, und strafen mich für meine Andersartigkeit. Ich lege keinen Wert auf fleckenlose Kleidung und benutze nichts, was mich am Schwitzen hindert; ich besitze weder Führerschein noch Wagen; sehe weder farbig fern noch mag ich Stereomusik; ich habe keine Frau und keine Kinder und mache mir aus beidem nichts; ich ekle mich vor kollegialer Fröhlichkeit, wie sie bei unseren Feiern regelmäßig ausbricht, und noch mehr vor Alkohol; mir ist es ganz und gar egal, wieviel PS die Autos haben und was sie kosten, wer was in welcher Fernsehrolle spielt, wer den Ball in wessen Tor getreten hat; mein Herz schlägt für all die Ausgeflippten, all die Unterdrückten. Ich streite gegen Kuhrings Law-and-order-Sinn und gegen Zumpes Kommunistenhaß; vor allem aber entsetzt es und empört es mich, wie Dr. Brockmüller aus schierem Opportunismus alles verrät, woran er vor Jahren noch felsenfest geglaubt hat. Ich träume von einer Welt, die Schwache leben läßt, und bin naturgemäß für die, die Gewachsenes zerbrechen wollen, um Neuem eine Chance zu geben (obwohl auch die auf meine Hilfe pfeifen).
    So habe ich oft im Kollegenkreise agitiert, und sie haben mich, um meine Argumente zu zerschlagen, kurzerhand zum Clown gemacht. Ich habe die Sockel, auf die sich all die braven Bürger da geschwungen haben, heftig wackeln lassen – und sie fürchteten zu Recht um ihren Glauben an sich selbst und ihre Größe. Da war jemand, der ihnen ihre Jämmerlichkeit bewies – den mußten sie vernichten, und zwar in netter Form. Mit Worten und mit Witzen läßt sich trefflich morden. Die Lux fing an, und Brockmüller übertraf die Lux, Zumpe den Brockmüller und Kuhring den Zumpe. Was für ‘n Heidenspaß tagtäglich; kein Betriebsrat und kein Chef hätte meine Klagen ernst genommen; im Gegenteil, wir sind als lustige Truppe bekannt.
    Nun, Sie könnten jetzt einwenden, eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz hätte mich von allen Sorgen befreit – o nein. Seien Sie versichert, anderswo hätte sich alles nur gering variiert wiederholt.
    Sie können mich auch mit dem Vorwurf konfrontieren, ich hätte das alles mit äußerem Gleichmut hingenommen und so getan, als spielte ich nur allzu gerne mit, hätte gar noch meinen Spaß an dieser Narrenrolle… Ich kann Ihnen nur antworten: Ja. Ich habe die Auflehnung all die Jahre gefürchtet, weil sie wie keine andere Reaktion den anderen angezeigt hätte, wie sehr sie mich getroffen hatten. Ein Ausbruch meines Zornes hätte sie so recht erkennen lassen, wie sehr ihnen meine

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