Ein Toter zu wenig
Wimsey - man glaubt im Himmel zu sein. Aber ich würde gern deine Meinung hören.«
»Hast du was dagegen, wenn Bunter auch zuhört? Bunter ist unbezahlbar - mit der Kamera ein wahrer Zauberer. Und komischerweise ist er immer zur Stelle, wenn ich ein Bad oder meine Schuhe haben will. Ich weiß nicht, wann er seine Bilder entwickelt - ich glaube, das macht er im Schlaf. Bunter!«
»Ja, Mylord?«
»Hören Sie auf, da drinnen herumzukramen, holen Sie sich alles Nötige zum Trinken und mischen Sie sich unters Volk.«
»Sehr wohl, Mylord.«
»Mr. Parker hat einen neuen Zaubertrick: Der verschwundene Finanzier. Ohne Netz und doppelten Boden. Abrakadabra simsalabim - wo ist er? Möchte jemand aus dem Publikum freundlicherweise auf die Bühne kommen und in der Kiste nachsehen? Danke, Sir. Geschwindigkeit ist keine Hexerei.«
»Ich fürchte nur, so interessant ist meine Geschichte gar nicht«, sagte Parker. »Es ist nur einer dieser Fälle, bei denen man nicht recht weiß, wo man anfangen soll. Sir Reuben Levy hat gestern abend mit drei Bekannten im Ritz gespeist. Nach dem Essen sind seine Freunde ins Theater gegangen. Er wollte nicht mitgehen, weil er, wie er sagte, eine Verabredung hatte. Ich habe noch nicht herausfinden können, mit wem er verabredet war, aber er ist jedenfalls um zwölf Uhr nach Hause gekommen - Park Lane 9A.«
»Wer hat ihn gesehen?«
»Die Köchin, die gerade auf ihr Zimmer gegangen war, hat ihn vor der Haustür stehen sehen und hereinkommen hören. Er ist die Treppe hinaufgegangen, hat seinen Mantel in die Garderobe gehängt und den Schirm in den Ständer gesteckt - du erinnerst dich, wie es gestern abend geregnet hat. Er hat sich ausgezogen und ist zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen war er nicht mehr da. Das ist schon alles«, schloß Parker unvermittelt mit einer entsprechenden Handbewegung.
»Nicht alles, nicht alles! Weiter, Papi, das war erst die halbe Geschichte«, bettelte Lord Peter.
»Nein, es ist die ganze. Als sein Diener ihn wecken wollte, war er nicht mehr da. Im Bett war geschlafen worden. Sein Schlafanzug und seine sämtlichen Kleider waren da, und das einzig Merkwürdige daran ist, daß sie ziemlich unordentlich auf die Ottomane am Fußende des Betts geworfen waren, nicht ordentlich zusammengefaltet auf einem Stuhl, wie Sir Reuben es für gewöhnlich hält - demnach muß er ziemlich erregt gewesen sein oder hat sich unwohl gefühlt. Es fehlte keine frische Kleidung, kein Anzug, keine Schuhe - nichts. Die Schuhe, die er angehabt hatte, standen wie gewöhnlich im Ankleidezimmer. Er hatte sich gewaschen und die Zähne geputzt und all das Übliche getan. Das Hausmädchen war um halb sieben Uhr früh unten, um die Diele zu wischen, und kann beschwören, daß seitdem niemand aus- oder eingegangen ist. Also ist man doch zu der Annahme gezwungen, daß ein geachteter, an Jahren reifer jüdischer Finanzier entweder zwischen zwölf und sechs Uhr morgens verrückt geworden und in einer Novembernacht still und heimlich im Adamskostüm aus dem Haus gegangen ist, oder daß er fortgezaubert wurde wie die Dame in den Ingoldsby-Legenden, verschwunden mit Haut und Haaren, und nur ein Häufchen zerknüllter Kleider bleibt zurück.«
»War die Haustür verriegelt?«
»Das ist so eine von den Fragen, die du sofort stellst; mir ist sie erst nach einer Stunde eingefallen. Nein; ganz gegen alle Gepflogenheiten war die Tür nur zugezogen. Andererseits hatten einige der Mädchen den Abend frei gehabt, um ins Theater zu gehen, und Sir Reuben könnte die Tür in der Meinung unverriegelt gelassen haben, daß sie noch nicht zurück waren. So etwas ist ja schon vorgekommen.«
»Und das ist wirklich alles?«
»Wirklich alles. Bis auf eine winzige Kleinigkeit.«
»Ich liebe winzige Kleinigkeiten«, sagte Lord Peter mit kindlichem Vergnügen. »So manchen hat schon eine winzige Kleinigkeit an den Galgen gebracht. Worum geht's?«
»Sir Reuben und Lady Levy, die eine sehr gute Ehe führen, schlafen immer im selben Zimmer. Lady Levy ist, wie ich schon erwähnt habe, zur Zeit in Mentone, der Gesundheit wegen. In ihrer Abwesenheit schläft Sir Reuben wie immer im Doppelbett, und zwar stets auf seiner Seite - der Außenseite. Letzte Nacht hat er beide Kissen aufeinandergelegt und in der Mitte geschlafen, eher sogar noch ein Stückchen näher zur Wand als nach außen. Das Hausmädchen, ein sehr intelligentes Ding, hat das gemerkt, als sie hinaufging, um das Bett zu machen, und daraufhin hat sie
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