Ein Toter zu wenig
»Bitte verzeihen Sie mir meine scheinbare Neugier«, sagte er, »aber ich muß Ihnen noch eine Frage stellen. Sie klingt leider ein wenig theatralisch, aber hier ist sie: Ist Ihnen bekannt, ob Sie einen Feind haben - ich meine jemanden, der durch Ihr - äh - Ableben oder Ihren Ruin etwas zu gewinnen hätte?«
Mr. Crimplesham saß wie zu Stein erstarrt vor Erstaunen und Mißbilligung. »Darf ich wissen, was diese seltsame Frage zu bedeuten hat?« erkundigte er sich steif.
»Nun, die Umstände sind ein wenig ungewöhnlich«, antwortete Lord Peter. »Sie erinnern sich vielleicht, daß mein Inserat sich an den Juwelier wandte, der das Kettchen verkauft hat.«
»Ja, das hat mich gleich gewundert«, sagte Mr. Crimplesham, »aber allmählich finde ich Ihr Benehmen ebenso merkwürdig wie Ihr Inserat.«
»Das ist es auch«, antwortete Lord Peter. »Ich hatte nämlich in Wahrheit nicht damit gerechnet, daß der Besitzer der Brille sich bei mir melden würde. Mr. Crimplesham, Sie haben gewiß in der Zeitung über den Fall vom Battersea Park gelesen. Es ist Ihre Brille, die bei der Leiche gefunden wurde, und sie befindet sich zur Zeit in den Händen von Scotland Yard, wie Sie hieran feststellen können.« Er legte die Spezifikation der Brille sowie den amtlichen Bericht vor Crimplesham hin.
»Du lieber Gott!« rief der Anwalt. Er warf einen Blick auf das Schriftstück, dann sah er Lord Peter mit zusammengekniffenen Augen an. »Arbeiten Sie für die Polizei?« erkundigte er sich.
»Nicht offiziell«, antwortete Lord Peter. »Ich ermittle privat in dieser Angelegenheit - im Auftrage einer Partei.«
Mr. Crimplesham erhob sich. »Mein lieber Mann«, sagte er, »dies ist ein höchst unverschämter Versuch, aber Erpressung ist ein strafbares Vergehen, und ich rate Ihnen, meine Kanzlei zu verlassen, bevor ich Sie anzeige.« Er läutete.
»Ich hatte gefürchtet, daß Sie es so aufnehmen würden«, sagte Lord Peter. »Anscheinend hätte Kriminalinspektor Parker, der mein Freund ist, diese Aufgabe doch besser übernommen.« Er legte Mr. Parkers Karte neben die Brillenbeschreibung auf den Tisch und fuhr fort: »Sollten Sie mich vor morgen früh noch einmal zu sprechen wünschen, Mr. Crimplesham, finden Sie mich im Münster-Hotel.«
Mr. Crimplesham versagte sich eine weitere Antwort, sondern wies nur den eintretenden Sekretär an, »dem Herrn den Weg zur Tür« zu zeigen.
Am Eingang stieß Lord Peter fast mit einem hochgewachsenen jungen Mann zusammen, der soeben hereinkam und ihn mit einem Blick überraschten Erkennens ansah. Sein Gesicht weckte jedoch in Lord Peter keine Erinnerung, und so rief er seinen Diener aus dem Zeitungsladen und begab sich ins Hotel, um ein Ferngespräch mit Mr. Parker anzumelden.
Inzwischen wurde Mr. Crimplesham in seiner Kanzlei durch das Eintreten seines Juniorpartners in seinen empörten Betrachtungen unterbrochen. »Sagen Sie nur«, rief dieser, »hat hier endlich mal jemand etwas richtig Schlimmes verbrochen? Oder was führt so einen berühmten Privatdetektiv über unsere bescheidene Schwelle?«
»Ich wurde das Opfer eines gemeinen Erpressungsversuchs«, sagte der Anwalt. »Ein Individuum, das sich als Lord Peter Wimsey ausgab -«
»Aber das ist Lord Peter Wimsey«, sagte Mr. Wicks. »Jede Verwechslung ausgeschlossen. Ich habe ihn im Prozeß wegen des Diebstahls der Attenbury-Smaragde als Zeuge auftreten sehen. Er ist ein ziemlich großes Tier in seinem Metier und geht mit dem Chef von Scotland Yard angeln.«
»Ach du lieber Gott«, stöhnte Mr. Crimplesham.
Das Schicksal wollte es, daß Mr. Crimpleshams Nerven an diesem Nachmittag noch hart geprüft wurden. Als er in Mr. Wicks' Begleitung das Münster-Hotel betrat, wurde ihm vom Portier mitgeteilt, Lord Peter Wimsey habe das Hotel zu einem Spaziergang verlassen und dabei erwähnt, er wolle vielleicht die Vesper besuchen. »Aber sein Diener ist da«, fügte er hinzu, »falls Sie eine Nachricht hinterlassen wollen.«
Mr. Wicks fand es im großen und ganzen angebracht, eine Nachricht zu hinterlassen. Man erkundigte sich nach Mr. Bunter und traf ihn neben dem Telefon sitzend an, wo er auf sein Ferngespräch nach London wartete. Als Mr. Wicks ihn gerade ansprach, klingelte das Telefon, und Mr. Bunter entschuldigte sich höflich und nahm den Hörer ab. »Hallo!« sagte er. »Ist dort Mr. Parker? Oh, danke! Vermittlung! Vermittlung! Entschuldigen Sie, können Sie mich mit Scotland Yard verbinden? Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Sie
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