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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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leicht. Kurz bevor Sie zur Pennyfarthing Street kommen, Sir, der zweiten Querstraße, rechts auf der gegenüberliegenden Seite.«
    »Damit scheidet Crimplesham/X wohl aus, fürchte ich«, sagte Lord Peter. »Schade; ich hatte ihn mir schon so schön als finstere Gestalt ausgemalt. Aber er könnte immerhin noch das Hirn sein, das den Händen befiehlt - die alte Spinne im Zentrum des zitternden Netzes, Bunter.«
    »Ja, Mylord«, sagte Bunter. Sie gingen zusammen die Straße hinauf.
    »Da drüben ist die Kanzlei«, fuhr Lord Peter fort. »Ich glaube, Bunter, Sie gehen am besten mal da in das Lädchen und kaufen sich eine Sportzeitung, und wenn ich nicht - sagen wir in einer Dreiviertelstunde - wieder aus der Höhle des Bösewichts auftauche, können Sie alle Schritte unternehmen, die Ihr Scharfsinn Ihnen anrät.«
    Mr. Bunter wandte sich, wie gewünscht, in den Laden, und Lord Peter überquerte die Straße und drückte entschlossen auf die Klingel zur Anwaltskanzlei. »Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sollte hier mein Begehr sein«, sagte er leise, und als ihm die Tür von einem Schreiber geöffnet wurde, reichte er ihm mit selbstsicherer Miene seine Karte.
    Er wurde unverzüglich in ein intim wirkendes Zimmer geführt, das offenbar in den ersten Jahren der Regentschaft Königin Victorias eingerichtet und seitdem nie mehr verändert worden war. Ein hagerer, gebrechlich aussehender alter Herr erhob sich bei seinem Eintreten geschäftig von seinem Stuhl und kam ihm zur Begrüßung entgegengehumpelt.
    »Mein werter Sir!« rief der Anwalt. »Wie überaus gütig von Ihnen, gleich persönlich zu kommen! Ich muß mich wahrhaftig schämen, Ihnen solche Umstände gemacht zu haben. Aber ich hoffe, Sie hatten ohnehin diesen Weg und meine Brille hat Ihnen keine allzu großen Ungelegenheiten bereitet. Bitte, nehmen Sie doch Platz, Lord Peter.« Er musterte dankbar den jungen Mann über den Rand eines Kneifers hinweg, der offensichtlich das Gegenstück zu dem war, der jetzt eine Akte bei Scotland Yard zierte.
    Lord Peter setzte sich. Der Anwalt setzte sich. Lord Peter nahm einen gläsernen Briefbeschwerer vom Tisch und wog ihn nachdenklich in der Hand. Im Unterbewußtsein dachte er daran, was für einen wunderschönen Satz Fingerabdrücke er darauf hinterließ. Er setzte ihn mit Nachdruck mitten auf einen Stapel Briefe. »Von Umständen keine Rede«, sagte er. »Ich hatte hier geschäftlich zu tun. Es freut mich, daß ich Ihnen zu Diensten sein konnte. Es ist ja sehr ärgerlich, wenn man seine Brille verliert, Mr. Crimplesham.«
    »O ja«, antwortete der Anwalt, »ich kann Ihnen versichern, daß ich mir ohne die Brille völlig verloren vorkomme. Ich habe zwar noch diese hier, aber sie paßt nicht so gut auf meine Nase - außerdem hat dieses Kettchen für mich einen großen persönlichen Wert. Ich war sehr betroffen, als ich bei meiner Ankunft in Balham ihren Verlust bemerkte. Ich habe gleich bei der Eisenbahngesellschaft nachgefragt, aber ohne Ergebnis. Da fürchtete ich schon, sie sei mir gestohlen worden. Es war ein solches Gedränge auf dem Victoria-Bahnhof, und das Abteil war bis Balham restlos überfüllt. Haben Sie die Brille im Zug gefunden?«
    »Hm, nein«, antwortete Lord Peter. »Ich habe sie an einem ziemlich unerwarteten Ort gefunden. Könnten Sie mir vielleicht sagen, ob Sie einen Ihrer damaligen Mitreisenden kannten?«
    Der Anwalt sah ihn groß an. »Nicht einen«, erwiderte er. »Warum fragen Sie?«
    »Nun«, sagte Lord Peter, »ich dachte schon, die - Person, bei der ich die Brille fand, hätte sie Ihnen vielleicht zum Scherz gestohlen.«
    Der Anwalt machte ein verwundertes Gesicht. »Behauptet diese Person mit mir bekannt zu sein?« fragte er. »Ich kenne praktisch niemanden in London, außer dem Freund in Balham, bei dem ich gewohnt habe, Dr. Philpots, und ich wäre doch sehr erstaunt, wenn er mir solche Streiche spielte. Er wußte sehr gut, wie bestürzt ich über den Verlust meiner Brille war. Der geschäftliche Anlaß für meine Reise nach London war eine Aktionärsversammlung des Bankhauses Medlicott, aber die übrigen dort anwesenden Herren waren mir alle persönlich unbekannt, und ich kann mir nicht vorstellen, daß einer von ihnen sich solche Freiheiten herausnehmen würde. Jedenfalls«, fügte er hinzu, »will ich nun, nachdem die Brille wieder da ist, gar nicht so genau wissen, wie sie wiedergefunden wurde. Ich bin Ihnen für Ihre Mühe zutiefst verbunden.«
    Lord Peter zögerte.

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