Ein Toter zu wenig
Peter, »werde ich Bunter mitnehmen, obwohl es viel nützlicher wäre, wenn er hier photographieren oder sich um meine Garderobe kümmern könnte. Wann geht ein guter Zug nach Salisbury, Bunter?«
»Es fährt ein ausgezeichneter Zug um 10.50 Uhr, Mylord.«
»Dann sorgen Sie freundlicherweise dafür, daß ich ihn bekomme«, sagte Lord Peter, indem er seinen Morgenmantel abwarf und ihn hinter sich her ins Schlafzimmer schleifte. »Und du, Parker, wenn du nichts anderes zu tun hast, könntest du Verbindung mit Levys Sekretär aufnehmen und dich mit dem peruanischen Öl befassen.«
Als leichte Reiselektüre nahm Lord Peter Sir Reubens Tagebuch mit. Es entpuppte sich als ein schlichtes, im Lichte der jüngsten Ereignisse rührendes Dokument. Der gefürchtete Börsenhai, der mit einem Kopfnicken den brummigen Bär zum Tanzen brachte oder den wütenden Bullen zwang, ihm aus der Hand zu fressen, er, dessen Odem ganze Landstriche mit Hungersnot verwüstete oder Geldmagnaten von ihren Thronen fegte, erwies sich im Privatleben als freundlich, häuslich, unschuldig stolz auf sich und das Seine, vertrauensselig, großzügig und ein bißchen langweilig. Seine eigenen bescheidenen Aufwendungen waren getreulich neben extravaganten Geschenken an seine Frau und Tochter aufgeführt. Kleine häusliche Vorkommnisse lasen sich so: »Jemand war da, um das »Wintergartendach zu reparieren«, oder: »Der neue Butler (Simpson) ist gekommen, empfohlen von den Goldbergs. Scheint brauchbar zu sein.« Alle Besucher und Gesellschaften waren gewissenhaft aufgeführt, von einem großartigen Mittagessen für Lord Dewsbury, den Außenminister, und Dr. Jabez K. Wort, den amerikanischen Gesandten, über etliche diplomatische Abendessen für große Finanziers bis hinunter zu kleinen familiären Zusammenkünften mit Leuten, die nur mit ihrem Vor- oder Spitznamen genannt waren. Im Mai wurde erstmals Lady Levys Nervenverfassung erwähnt, und in den darauffolgenden Monaten wurde noch öfter darauf Bezug genommen. Im September hieß es: »Freke war hier, um nach meiner lieben Frau zu sehen. Er empfiehlt völlige Ruhe und Luftveränderung. Sie hat vor, mit Rachel ins Ausland zu gehen.« Der Name des berühmten Nervenspezialisten tauchte etwa einmal monatlich auf der Gästeliste für Abendgesellschaften auf, und das brachte Lord Peter auf den Gedanken, daß Freke die geeignete Person sein könnte, bei der man sich nach Levy selbst erkundigen könnte. »Manchmal erzählen die Leute ihrem Arzt etwas«, sagte er bei sich. »Und beim Zeus! Wenn Levy am Montagabend womöglich nur bei Freke war, hätte sich der Fall von Battersea weitgehend erledigt.« Er nahm sich vor, Sir Julian aufzusuchen, und blätterte weiter. Am 18. September waren Lady Levy und Tochter dann nach Südfrankreich aufgebrochen. Und plötzlich, unter dem Datum des 5. Oktober, fand Lord Peter endlich, wonach er gesucht hatte: »Goldberg, Skriner und Milligan zum Abendessen.«
Da war der Beweis, daß Milligan schon im Haus gewesen war. Es war eine formelle Einladung gewesen - wie ein Zusammentreffen zweier Duellanten vor dem Kampf. Skriner war ein wohlbekannter Kunsthändler; Lord Peter malte sich aus, wie sie nach dem Essen nach oben gegangen waren, um im Salon die beiden Corots und das Porträt der ältesten, mit sechzehn Jahren gestorbenen Levy-Tochter zu sehen. Augustus John hatte es gemalt, und es hing im Schlafzimmer. Der rothaarige Sekretär wurde nirgends namentlich erwähnt, es sei denn, daß sich die Abkürzung S., die in einem anderen Eintrag auftauchte, auf ihn bezog. Während der Monate September und Oktober war Anderson (aus dem Hause Wyndham) ein häufiger Gast gewesen.
Lord Peter klappte kopfschüttelnd das Tagebuch zu und wandte sich wieder seinen Überlegungen zum Fall von Battersea zu. Während es im Falle Levy ein leichtes war, ein Motiv für das Verbrechen zu nennen, sofern es ein Verbrechen war, und die Schwierigkeit darin bestand, die Methode seiner Durchführung und den Verbleib der Leiche herauszufinden, war in dem anderen Fall das Haupthindernis für die Ermittlungen das völlige Fehlen eines denkbaren Motivs. Es war doch eigenartig, daß der Fall von sämtlichen Zeitungen des Landes gemeldet und eine Beschreibung des Toten an alle Polizeidienststellen gegangen war und sich trotzdem noch niemand gemeldet hatte, um den geheimnisvollen Gast in Mr. Thipps' Badewanne zu identifizieren. Gewiß war diese Beschreibung, in der von einem glattrasierten Kinn, elegantem
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