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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf er hustete und sich ein neues Bonbon in den Mund schob. »Wir sind mit dem Auto gekommen«, sagte die Herzogin; »das war so anstrengend - solch schlechte Straßen zwischen Denver und Gunbury St. Walters - und wir hatten doch Leute zum Essen eingeladen - ich mußte ihnen absagen - konnte ja die alte Dame nicht allein fahren lassen, oder? Übrigens ist da etwas ganz Merkwürdiges mit dem Restaurierungsfonds für die Kirche - der Vikar - o Gott, da kommen diese Leute schon wieder; nun gut, das erzähle ich Ihnen später - sehen Sie sich doch nur einmal an, was diese Frau für ein schockiertes Gesicht macht, und das Mädchen im Tweedrock versucht so zu tun, als ob sie es alle Tage mit unverhüllten Herren zu tun hätte - ich meinte natürlich Leichen - aber man ist ja heutzutage immer wieder so elisabethanisch - ist dieser Untersuchungsrichter nicht ein schrecklicher kleiner Kerl? Wenn Blicke töten könnten - meinen Sie, er wagt es, mich hinauszuwerfen oder mir irgendeine Ordnungsstrafe aufzuerlegen oder wie das heißt?«
    Der erste Teil der Zeugenanhörung war für Mr. Parker nicht von großem Interesse. Der unglückselige Mr. Thipps, der sich im Gefängnis erkältet hatte, erklärte jämmerlich krächzend unter Eid, er habe die Leiche um acht Uhr morgens entdeckt, als er sein Bad habe nehmen wollen. Es sei so ein großer Schock für ihn gewesen, daß er sich habe hinsetzen und das Mädchen nach einem Kognak schicken müssen. Er habe den Toten nie zuvor gesehen. Er habe keine Ahnung, wie er dorthin gekommen sei.
    Ja, er sei den Tag zuvor in Manchester gewesen. Um zehn Uhr sei er am St. Pancras-Bahnhof angekommen. Seinen Koffer habe er bei der Gepäckaufbewahrung aufgegeben. An diesem Punkt wurde Mr. Thipps ganz rot, druckste verlegen herum und sah sich nervös im Gerichtssaal um. »Nun, Mr. Thipps«, sagte der Untersuchungsrichter kurz angebunden, »wir müssen über Ihr Tun und Lassen genau Bescheid wissen. Es muß Ihnen klar sein, wie wichtig das alles ist. Sie haben sich zur Aussage entschlossen, was Sie nicht hätten tun müssen, aber nachdem Sie nun aussagen wollen, sollten Sie am besten auch kein Blatt vor den Mund nehmen.«
    »Ja«, sagte Mr. Thipps matt.
    »Haben Sie den Zeugen belehrt, Inspektor?« wandte der Untersuchungsrichter sich barsch an Inspektor Sugg.
    Der Inspektor erwiderte, er habe Mr. Thipps erklärt, daß alles, was er aussage, vor Gericht gegen ihn verwendet werden könne. Mr. Thipps wurde aschfahl und sagte mit kläglicher Stimme, er habe nicht die Absicht gehabt, etwas zu tun, was nicht recht sei.
    Diese Bemerkung sorgte für gelindes Aufsehen, und der Untersuchungsrichter wurde noch bissiger, als er so schon war. »Vertritt hier irgend jemand Mr. Thipps?« fragte er gereizt. »Nein? Haben Sie ihm nicht erklärt, daß er sich einen Anwalt nehmen kann - nehmen sollte? Nein? Wirklich, Inspektor! Mr. Thipps, wußten Sie nicht, daß Sie das Recht haben, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen?«
    Mr. Thipps mußte sich auf einen Stuhlrücken stützen und sagte kaum hörbar: »Nein.«
    »Es ist doch unglaublich«, sagte der Untersuchungsrichter, »daß sogenannte gebildete Menschen so wenig über die Prozeßvorschriften in ihrem eigenen Land Bescheid wissen. Das bringt uns jetzt in eine sehr schwierige Position. Ich bezweifle, Inspektor, ob ich dem Gefangenen - Mr. Thipps - überhaupt die Aussage erlauben darf. Das ist eine sehr heikle Lage.« Auf Mr. Thipps' Stirn standen Schweißperlen.
    »Schütze uns vor unsern Freunden«, flüsterte die Herzogin Parker zu. »Wenn diese bonbonlutschende Kreatur diesen vierzehn Leuten - und was die alle für leere Gesichter haben - so typisch, finde ich immer, für die untere Mittelschicht, beinahe wie Schafe, oder Kalbsköpfe (gekocht, meine ich) - wenn er ihnen klipp und klar geraten hätte, gegen den armen kleinen Kerl auf Mord zu erkennen, hätte er sich nicht deutlicher ausdrücken können.«
    »Er darf aber nicht zulassen, daß er sich selbst belastet«, sagte Parker.
    »Ach, Unfug!« erwiderte die Herzogin. »Wie könnte der Mann sich denn belasten, wenn er sein Lebtag nie etwas verbrochen hat? Ihr Männer denkt immer nur an eure Paragraphen.«
    Inzwischen hatte Mr. Thipps, nachdem er sich mit einem Taschentuch die Stirn abgewischt hatte, seinen Mut zusammengerafft. Er richtete sich mit der ganzen Würde seiner Schwächlichkeit auf wie ein kleines weißes Karnickel, das sich in die Enge getrieben sieht. ,

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