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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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»Ich möchte es Ihnen ja sagen«, erklärte er, »obwohl das für einen Mann in meiner Position wirklich sehr unangenehm ist. Aber ich kann natürlich nicht einen Augenblick zulassen, daß jemand glaubt, ich hätte dieses furchtbare Verbrechen begangen. Ich versichere Ihnen, meine Herren, das  könnte  ich nicht ertragen. Nein! Lieber sage ich Ihnen die Wahrheit, obwohl ich fürchte, daß mich das in eine sehr unangenehme - also gut, ich sage es Ihnen.«
    »Und Sie verstehen voll und ganz die Folgenschwere einer solchen Aussage, Mr. Thipps?« fragte der Untersuchungsrichter.
    »Ja«, sagte Mr. Thipps. »Es ist schon gut - ich - könnte ich bitte einen Schluck Wasser haben?«
    »Lassen Sie sich nur Zeit«, sagte der Untersuchungsrichter und nahm dieser Bemerkung durch einen ungeduldigen Blick auf die Uhr sofort alle Glaubwürdigkeit.
    »Danke, Sir«, sagte Mr. Thipps. »Also, ja, es stimmt, daß ich um zehn Uhr am St. Pancras angekommen bin. Aber da war noch ein Mann mit mir im Zug gewesen. Er war in Leicester zugestiegen. Ich hatte ihn zuerst nicht erkannt, aber dann zeigte sich, daß er ein alter Schulkamerad von mir war.«
    »Wie heißt dieser Herr?« fragte der Untersuchungsrichter mit gezücktem Bleistift.
    Mr. Thipps schrumpfte sichtlich in sich zusammen. »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, sagte er. »Sehen Sie - das heißt, Sie  werden  es sehen - das würde ihn in Schwierigkeiten bringen, und das könnte ich nicht tun - nein, das könnte ich wirklich nicht tun, und wenn mein Leben davon abhinge. Nein!« fügte er hinzu, als ihm aufging, wie unheilvoll zutreffend dieser letzte Satz war. »Das könnte ich wahrhaftig nicht tun.«
    »Nun, nun«, meinte der Untersuchungsrichter.
    Die Herzogin lehnte sich wieder zu Parker zurück. »Ich fange an, das kleine Kerlchen richtig zu bewundern«, sagte sie.
    Mr. Thipps fuhr fort. »Als wir am St. Pancras ankamen, wollte ich nach Hause, aber mein Freund sagte nein. Wir hätten uns so lange nicht gesehen und sollten - einen draufmachen, wie er sich ausdrückte. Ich fürchte, ich war zu schwach und ließ mich überreden, mit ihm in eine seiner Spelunken zu gehen. Ich gebrauche dieses Wort bewußt, Sir«, sagte Mr. Thipps, »und ich kann Ihnen versichern, wenn ich vorher gewußt hätte, wohin wir gingen, ich hätte nie einen Fuß in dieses Lokal gesetzt. Ich gab meinen Koffer auf, weil ich dadurch nicht behindert sein wollte, und wir stiegen in ein Taxi und fuhren zur Ecke Tottenham Court Road und Oxford Street. Von dort gingen wir ein Stückchen zu Fuß und bogen in ein Nebengäßchen ein (ich weiß nicht mehr, in welches), bis wir an eine offene Tür kamen, aus der Licht schien. An einem Schalter saß ein Mann, bei dem mein Freund ein paar Karten kaufte, und ich hörte den Mann am Schalter so etwas wie >Ihr Freund< sagen, womit er mich meinte, und mein Freund sagte: >O ja, der war schon hier, nicht wahr, Alf?< (So hat man mich nämlich in der Schule genannt.) Aber ich versichere Ihnen, Sir« - und hier wurde Mr. Thipps nun sehr ernst - »ich war nie dort, und nichts auf der Welt könnte mich dazu bringen, so einen Ort noch einmal aufzusuchen. Also, wir gingen dann in einen Raum im Kellergeschoß, wo getrunken wurde, und mein Freund trank mehrere Cocktails und drängte mir auch einen oder zwei auf - obwohl ich normalerweise Abstinenzler bin - und sprach mit ein paar anderen Männern und Frauen, die dort waren - sehr ordinäre Leute, fand ich, obwohl ich nicht verschweigen will, daß einige von den jungen Damen recht hübsch anzusehen waren. Eine von ihnen setzte sich bei meinem Freund auf den Schoß und nannte ihn einen alten Schleicher und sagte, er solle mitkommen - also gingen wir weiter in einen anderen Raum, wo viele Leute waren, die diese modernen Tänze tanzten. Mein Freund ging hin und tanzte, und ich setzte mich auf ein Sofa. Eine der jungen Damen kam zu mir und fragte, ob ich nicht tanzen wolle, und ich sagte nein, da fragte sie, ob ich ihr dann nicht etwas zu trinken spendieren wolle. >Dann spendier uns was zu trinken, Schätzchen<, sagte sie nur, worauf ich fragte: >Ist denn nicht schon Sperrstunde?< Aber sie sagte, das mache nichts. Ich bestellte also etwas zu trinken - Gin und Bitter -, denn nein sagen mochte ich nicht, weil sie es von mir zu erwarten schien und ich fand, als Kavalier dürfe ich das nicht abschlagen, wenn sie schon darum bat. Aber es ging mir gegen das Gewissen - das Mädchen war noch so jung - und sie legte mir danach die Arme um

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