Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
Vom Netzwerk:
daß zum Beispiel der Einbrecher seine Arbeitsmethoden nicht bei Tageslicht demonstriert oder Ihnen zuliebe eigens einen vollkommenen Fußabdruck in einem feuchten Sandfleck hinterläßt.«
    »In aller Regel nicht«, antwortete der Kriminalist, »aber ich bin sicher, daß viele Ihrer Krankheiten ebenso hinterlistig vorgehen wie ein Einbrecher.«
    »O ja, allerdings«, lachte Sir Julian, »und ich setze wie Sie meinen Stolz darein, sie zum Wohle der Gesellschaft dennoch dingfest zu machen. Neurosen zum Beispiel sind besonders schlaue Verbrecher - sie treten in so vielen Verkleidungen auf wie -«
    »Wie Leon Kestrel, der Verwandlungskünstler«, half Parker nach, denn er las in seiner Freizeit gern die an Bahnhofskiosken erhältlichen Detektivgeschichten - wie die Katze, die das Mausen nicht lassen kann.
    »Zweifellos«, antwortete Sir Julian, der dies nicht tat, »und sie verstehen es großartig, ihre Spuren zu verwischen. Aber wenn man der Sache wirklich auf den Grund gehen kann, Mr. Parker, und den Toten - oder besser noch den Lebenden - mit dem Skalpell öffnet, findet man immer die Fußabdrücke - die kleine Zerstörungsspur, die Irrsinn oder Krankheit oder Alkohol oder etwas ähnlich Unangenehmes hinterlassen hat. Schwierig ist es hingegen, ihnen anhand der oberflächlichen Symptome auf die Spur zu kommen - Hysterie, Kriminalität, Religiosität, Angst, Schüchternheit, Gewissen oder was Sie wollen; genau wie Sie, wenn Sie einen Diebstahl oder Mord untersuchen und nach den Fußspuren des Übeltäters Ausschau halten, beobachte ich einen Anfall von Hysterie oder einen Ausbruch von Frömmigkeit und gehe auf die Suche nach der kleinen physischen Störung, die sie hervorgerufen hat.«
    »Sie halten alle diese Erscheinungen für körperlich bedingt?«
    »Zweifellos. Mir ist das Aufkommen einer anderen Schule nicht unbekannt, Mr. Parker, aber ihre bedeutendsten Vertreter sind größtenteils Scharlatane oder Selbstbetrüger. >Sie haben sich so weit darin eingeheimnißt<, daß sie, wie Sludge das Medium, allmählich schon ihren eigenen Unsinn zu glauben beginnen. Ich würde so gern mal die Gehirne einiger dieser Leute untersuchen, Mr. Parker; dann würde ich Ihnen die kleinen Webfehler und Erdrutsche in den Zellen zeigen - die Fehlzündungen und Kurzschlüsse der Nerven, die diese Ideen und diese Bücher hervorbringen. Zumindest«, fuhr er fort, indem er seinen Gast ernst musterte, »zumindest würde ich sie Ihnen, wenn nicht heute, so doch morgen zeigen können - oder in einem Jahr - oder bevor ich sterbe.«
    Er saß eine Weile stumm da und starrte ins Feuer, während der rote Schein auf seinem rötlichen Bart flackerte und von seinen zwingenden Augen zurückgeworfen wurde.
    Parker trank schweigend seinen Tee und beobachtete ihn. Im großen und ganzen war er aber an den Ursachen nervlicher Phänomene nach wie vor wenig interessiert, und seine Gedanken wanderten zu Lord Peter, der sich da unten in Salisbury mit dem zwielichtigen Mr. Crimplesham auseinandersetzte. Lord Peter hatte ihn gebeten, zu kommen; das bedeutete entweder, daß Mr. Crimplesham sich störrisch stellte, oder daß irgendeinem Hinweis nachgegangen werden mußte. Aber Bunter hatte gemeint, morgen würde es auch noch reichen, und das war gut so. Schließlich war die Battersea-Geschichte nicht Parkers Fall; er hatte schon kostbare Zeit damit vertan, einer Untersuchungsverhandlung beizuwohnen, bei der nichts herausgekommen war, und nun mußte er wirklich mit seiner eigentlichen Arbeit weiterkommen. Er hatte noch Levys Sekretär aufzusuchen und sollte sich mit den peruanischen Ölaktien befassen. Er sah auf die Uhr. »Es tut mir sehr leid - wenn Sie mich bitte entschuldigen wollten -«, murmelte er.
    Sir Julian kehrte mit einem kleinen Erschrecken zur Aktualität zurück. »Die Arbeit ruft?« fragte er lächelnd. »Nun, das kann ich verstehen. Ich möchte Sie auch nicht aufhalten. Aber ich hatte Ihnen etwas im Zusammenhang mit Ihren derzeitigen Ermittlungen sagen wollen - nur weiß ich nicht recht - mag nicht recht -«
    Parker setzte sich wieder und verbannte sogleich jeden Anschein von Eile aus seiner Haltung und seiner Miene. »Ich werde Ihnen für jede Hilfe, die Sie mir geben können, sehr dankbar sein«, sagte er.
    »Nun, ich fürchte, Sie werden es eher hinderlich als hilfreich finden«, antwortete Sir Julian mit einem kurzen Lachen. »Ihnen zerschlage ich nämlich ein Indiz, und meinerseits ist es ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. Aber

Weitere Kostenlose Bücher