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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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mich fast als erstes nach sämtlichen Verkehrsunfällen und Selbstmorden und so weiter erkundigt, die im Laufe des Tages bekannt geworden waren, und dabei habe ich mir diese Leiche vom Battersea Park auch angesehen, das gehörte eben dazu. Natürlich sah ich gleich, als ich hinkam, daß der Gedanke absurd war, aber Sugg hat sich an der Idee festgebissen - und es bestand ja auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesem Toten und den Bildern, die ich bis dahin von Sir Reuben gesehen hatte.«
    »Eine starke oberflächliche Ähnlichkeit«, sagte Sir Julian. »Die obere Gesichtshälfte weist Merkmale auf, die nicht selten sind, und da Sir Reuben einen dichten Bart trug, so daß es nicht möglich war, einen Vergleich zwischen den Mund- und Kinnpartien zu ziehen, kann ich schon verstehen, daß jemand zunächst auf diese Idee kommen konnte. Aber nur, um sie sofort zu verwerfen. Ich bedaure das um so mehr«, fügte er hinzu, »als diese Angelegenheit für Lady Levy sehr schmerzlich war. Sie dürfen ruhig wissen, Mr. Parker, daß ich ein alter, wenngleich ich nicht sagen kann ein intimer, Freund der Familie Levy bin.«
    »Davon habe ich schon gehört.«
    »Ja. Als junger Mann - mit einem Wort, Mr. Parker, ich hatte Lady Levy früher einmal zu heiraten gehofft.« (Mr. Parker gab die üblichen mitfühlenden Laute von sich.) »Ich habe, wie Sie wissen, nie geheiratet«, fuhr Sir Julian fort. »Wir sind gute Freunde geblieben. Ich habe immer alles getan, was ich konnte, um ihr Kummer zu ersparen.«
    »Glauben Sie mir, Sir Julian«, sagte Parker, »daß ich sehr mit Ihnen und Lady Levy fühle, und daß ich getan habe, was ich konnte, um Inspektor Sugg von dieser Idee abzubringen. Leider hat aber der zufällige Umstand, daß Sir Reuben an diesem Abend in der Battersea Park Road gesehen worden war -«
    »Ach ja«, sagte Sir Julian. »Meine Güte, hier sind wir schon zu Hause. Vielleicht kommen Sie noch einen Augenblick mit herein, Mr. Parker, und trinken ein Täßchen Tee mit mir, oder einen Whisky oder was Sie wollen.«
    Parker nahm die Einladung prompt an. Er hatte das Gefühl, daß es hier noch einiges zu erfahren gab.
    Die beiden Männer traten in eine altmodisch, aber hübsch eingerichtete Eingangsdiele mit einem Kamin an der Türseite und einer Treppe gegenüber. Rechts stand die Tür zum Eßzimmer offen, und als Sir Julian läutete, erschien von der anderen Seite ein Diener.
    »Was möchten Sie trinken?« fragte der Arzt.
    »Nach der Kälte im Gerichtssaal«, sagte Parker, »wäre mir am liebsten ein ganzer Eimer heißer Tee, falls Sie als Nervenspezialist bei dieser Vorstellung nicht das Grausen packt.«
    »Sofern Sie ihn aus Tassen zu trinken bereit sind«, antwortete Sir Julian im gleichen Ton, »habe ich keine Einwände. Tee in der Bibliothek, jetzt gleich«, fuhr er an den Diener gewandt fort und ging seinem Gast voran die Treppe hinauf.
    Die unteren Räume benutze ich kaum, außer dem Eßzimmer«, erklärte er, als er Parker in eine kleine, aber freundliche Bibliothek im ersten Stock führte. »Von hier aus geht es gleich weiter in mein Schlafzimmer, und das ist sehr bequem. Ich lebe hier nur zeitweise, aber es ist so praktisch für meine Forschungsarbeiten im Krankenhaus. Das ist nämlich meine Hauptbeschäftigung. Es ist ein schwerer Fehler, Mr. Parker, wenn ein Theoretiker die praktische Arbeit vernachlässigt. Die Sektion ist das A und O jeder gesunden Theorie und jeder richtigen Diagnose. Man muß Hand und Auge in Übung halten. Diese Arbeit hier ist mir sehr viel wichtiger als meine Praxis in der Harley Street, und eines Tages werde ich die Praxis überhaupt schließen und mich ganz hier niederlassen, um meine Studienobjekte zu zerschneiden und in Ruhe meine Bücher zu schreiben. Mit so vielen Dingen im Leben verschwendet man nur seine Zeit, Mr. Parker.«
    Mr. Parker stimmte dem zu.
    »Sehr oft«, sagte Sir Julian, »komme ich zu meinen Forschungsarbeiten - die natürlich höchste Konzentration und den Vollbesitz aller geistigen und körperlichen Kräfte erfordern - erst in den Abendstunden, nach einem langen Arbeitstag und bei Kunstlicht, das, so hervorragend die Beleuchtung hier im Seziersaal auch ist, die Augen doch viel mehr anstrengt als Tageslicht. Sie müssen Ihre Arbeit sicher oft unter noch schwierigeren Bedingungen tun.«
    »Ja, manchmal«, sagte Parker. »Aber«, fügte er hinzu, schließlich sind die Umstände sozusagen teil meiner Arbeit.«
    »Ganz recht, ganz recht«, sagte Sir Julian. »Sie meinen,

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