Ein Traummann auf Mallorca
bequem gemacht hatte. Das Tier blickte nicht einmal auf, als Javier mit dem Wagen vorfuhr.
Überhaupt entdeckte Charlene überall Tiere. An eine der ehemaligen Stallungen grenzte ein kleines, von einem Zaun umgebenes Stück Land, auf dem drei prachtvolle Pferde weideten. Mehrere Katzen streunten über den Hof, und ein dreibeiniger Hund brachte sich im Eingang des Gebäudes, das früher einmal der Lagerschuppen gewesen sein mochte, in Sicherheit und betrachtete die Neuankömmlinge mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen.
Javier parkte das Auto vor der Tür des Haupthauses, dessen Fassade teilweise von wildem Wein überwuchert war. Dann stieg er aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. „Kommen Sie, ich nehme Ihnen das ab“, sagte er und griff nach der Schachtel mit dem verletzten Vögelchen.
Erstaunt blickte Charlene zu ihm auf. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Jedenfalls nicht, dass er so vorsichtig und behutsam mit dem Tier umgehen würde. Möglich, dass er es nur seiner Tochter zuliebe tat – aber was machte das für einen Unterschied? Dass er überhaupt so sanft und einfühlsam sein konnte, überraschte sie, ganz gleich, was seine Beweggründe sein mochten.
Hastig wandte sie den Blick von ihm ab. Es erschreckte sie, wie rasch es ihm gelang, sie in seinen Bann zu ziehen. Dabei mochte sie ihn doch nicht einmal. Er trug die Schuld daran, dass es ihrem Vater so schlecht ging. Der Herzinfarkt, der Unfall – in ihren Augen alles Folgen von zu viel Stress, verursacht durch den unbarmherzigen Druck, den Javier Santiago permanent auf seinen Konkurrenten ausübte.
Dieser Mann ist kein guter Mensch, rief sie sich in Erinnerung. Vergiss das nie!
Sie stieg aus und wollte ihm die Schachtel wieder abnehmen. Dabei streifte Javiers Hand leicht ihre. Es war kaum mehr als die Berührung eines Schmetterlingsflügels. Hauchzart. So gut wie gar nicht spürbar. Und doch hatte Charlene ein Gefühl, als ob ein Beben sie durchliefe. Sie sah ihm in die Augen. Es geschah ganz von allein, ohne dass sie es wollte. Sein Blick nahm sie einfach gefangen, und sie spürte, wie ihr die Knie schwach wurden.
Seine Augen waren nicht einfach nur braun, wie sie zuerst angenommen hatte. Nein, sie waren von einem so tiefen, dunklen Grün, dass es fast schwarz wirkte, und sie bemerkte einige goldene Sprenkel darin, von denen im hellen Sonnenschein ein regelrechtes Leuchten auszugehen schien. Unwillkürlich musste Charlene an einen tiefen Wald denken. Grüngoldenes Licht, das durch das Blattwerk flimmerte, erschien vor ihrem inneren Auge, und sie spürte die Magie, die von diesem Ort ihrer Fantasie ausging. Gleichzeitig war da eine Ahnung in ihr, dass irgendwo zwischen den Bäumen Gefahr lauerte.
Gefahr für ihr Herz?
Unsinn!
Trotzdem schaffte sie es nicht, sich von Javier abzuwenden. Einen Moment lang vergaß sie alles um sich her. Die Luft zwischen ihnen schien elektrisch aufgeladen, wie kurz vor einem Gewitter. Charlenes Atem ging schneller. Dieser Mann war Javier Santiago. Der Mann, der ihren Vater zu ruinieren drohte! Wieso sehnte sie sich plötzlich danach, in seinen starken Armen zu liegen und von ihm geküsst zu werden?
„Bitte, können wir jetzt endlich los? Das Vögelchen …“
Auroras ungeduldige Worte holten Charlene abrupt wieder in die Realität zurück. Sie blinzelte heftig. Was war da bloß gerade geschehen? Vermutlich wollte sie die Antwort gar nicht wissen. Nur gut, dass die Kleine sie davon abgehalten hatte, etwas zu tun, was sie später nur bereuen konnte.
„Komm“, sagte sie und nahm das Mädchen bei der Hand. „Gehen wir.“
3. KAPITEL
Die Tierärztin, eine resolute junge Frau in Jeans und Poloshirt, kümmerte sich rührend um das verletzte kleine Vögelchen, obwohl es sich für sie um einen eher ungewöhnlichen Patienten handeln musste.
„So“, sagte sie, als sie knapp eine Stunde später wieder ins Wartezimmer trat. „Das Schlimmste wäre überstanden. Ich habe den verletzten Flügel gerichtet und geschient, den Rest wird die Zeit zeigen. Aber ich denke, unser kleiner Freund hat gute Chancen. Allerdings muss er hierbleiben, damit ich ihn mit der Flasche großziehen kann. Seine Eltern werden ihn, wie ich fürchte, nach allem, was vorgefallen ist, nicht mehr akzeptieren.“
Aurora, die nichts davon hatte abbringen können, auf Nachrichten über das Schicksal ihres Schützlings zu warten, wirkte erschrocken. „Aber … Was hat das Vögelchen denn getan? Warum lässt der
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