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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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vorgefallen ist?«
    Er nahm sich eine Zigarette aus seiner Packung und zündete sie an. »Nun«, begann er, »so weit ich es verstehe, wollten Sie aus irgendwelchen Gründen kein Abendessen, und Ihre Frau verbrachte den Abend mit den Jungen hier, während Sie in der Bibliothek saßen. Als sie ins Bett gehen wollte, entdeckte sie, daß Sie in die Küche gegangen waren und Licht gemacht hatten. Auf dem Herd stand eine Pfanne mit völlig verbranntem Speck, der Herd war eingeschaltet, aber es war niemand da. Sie ging also ins Kellergeschoß. Es scheint, als hätten Sie dort in der alten Küche gewartet, bis sie herunterkam, und sobald Sie sie sahen, gingen Sie auf sie los und beschimpften sie, und dann legten Sie ihr die Hände um die Kehle und würgten sie.«
    »Ja, so war's«, sagte ich.
    Er musterte mich eindringlich. Vielleicht hatte er erwartet, daß ich es leugnen werde. »Sie ist fest davon überzeugt, daß Sie sternhagelvoll waren und nicht wußten, was Sie taten«, erklärte er, »aber es war ein scheußliches Erlebnis für alle, und sie und die Jungen hatten wahnsinnige Angst. Und das um so mehr, als Sie vermutlich nicht der Typ des Alkoholikers sind.«
    »Nein, durchaus nicht. Und ich war auch nicht betrunken.«
    Er antwortete eine Weile nicht. Dann stellte er sich vor mich hin, zog eine Lampe aus seiner Tasche, untersuchte meine Augen und fühlte meinen Puls.
    »Was haben Sie eingenommen?« fragte er brüsk.
    »Wieso?«
    »Ich frage, unter der Wirkung welcher Droge Sie stehen. Sagen Sie es mir sofort, damit ich weiß, wie ich Sie behandeln soll.«
    »Das ist es ja gerade«, sagte ich. »Ich weiß es selbst nicht.«
    »Hatte Professor Lane es Ihnen gegeben?«
    »Ja.«
    Er setzte sich auf den Arm des Sofas neben mir. »Oral oder durch Einspritzung?«
    »Oral.«
    »Behandelte er Sie aus einem bestimmten Grund?«
    »Er behandelte mich nicht. Es war ein Experiment, das ich freiwillig für ihn durchführte. Ich habe, bevor ich hierher kam, in meinem ganzen Leben noch nie Drogen genommen.«
    Sein durchdringender Blick ruhte unverwandt auf mir, und ich wußte, daß mir nichts übrigblieb, als ihm alles zu sagen.
    »Stand Professor Lane unter dem Einfluß derselben Droge, als er in den Güterzug lief?« fragte er.
    »Ja.«
    Er erhob sich, ging im Zimmer auf und ab und spielte mit verschiedenen Gegenständen, die er vom Tisch aufhob und wieder hinstellte, wie Magnus zu tun pflegte, bevor er eine Entscheidung fällte.
    »Ich sollte Sie zur Beobachtung in ein Krankenhaus bringen«, sagte er schließlich.
    »Nein, um Gottes willen …« Ich stand auf. »Ich habe das Zeug oben in einer Flasche. Es ist alles, was übrigblieb. Eine einzige Flasche. Er hat mich gebeten, alles zu vernichten, was ich in seinem Labor fand, und das habe ich auch getan – ich habe alles im Wald hinterm Garten vergraben. Nur die eine Flasche behielt ich, und heute habe ich etwas davon eingenommen. Es muß etwas anderes gewesen sein als sonst – stärker oder so, ich weiß es nicht. Nehmen Sie es mit, lassen Sie es analysieren – was Sie wollen. Gewiß sind Sie sich darüber im klaren, daß ich das Zeug nach allem, was geschehen ist, nie wieder anrühren könnte. Ich hätte doch beinahe meine Frau umgebracht.«
    »Ich weiß«, sagte er. »Darum gehören Sie ja auch eigentlich ins Krankenhaus.«
    Er wußte nicht, er verstand mich nicht. Wie konnte er auch verstehen?
    »Hören Sie«, sagte ich, »ich habe meine Frau gar nicht auf der Treppe stehen sehen. Ich wollte nicht sie erwürgen, sondern eine andere.«
    »Was für eine Frau?« fragte er.
    »Eine Frau mit Namen Joanna«, antwortete ich. »Sie lebte vor sechshundert Jahren. Sie war hier unten in der alten Küche des Bauernhauses, und die anderen waren bei ihr. Isolda Carminowe, der Mönch Jean de Meral und Roger Kylmerth, der Mann, dem der Hof damals gehörte und der früher Joannas Verwalter gewesen war.«
    Er legte seine Hand auf meinen Arm. »Weiter«, sagte er, »nur zu. Ich verstehe, Sie nahmen die Droge, gingen hinunter und sahen im Kellergeschoß diese Leute.«
    »Ja, aber nicht nur dort. Ich habe sie auch in Tywardreath gesehen, im alten Gutshaus unterhalb des Steinbruchs und in der Priorei. Darin besteht nämlich die Wirkung der Droge. Sie versetzt einen zurück in die Vergangenheit, in eine frühere Welt.«
    Ich bemerkte, wie meine Stimme vor Erregung lauter wurde. »Glauben Sie mir nicht?« drängte ich. »Wie könnten Sie mir auch glauben! Aber ich schwöre Ihnen, daß ich sie

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