Ein Tropfen Zeit
Lichtstreifen zerrissen die Dunkelheit. Das Geschrei brach ab, und ich hörte die Jungen weinen, immer leiser, immer ferner; sie liefen in die Küche und schlugen beide Türen hinter sich zu.
Halb blind durch Schwindel und Übelkeit begann ich Stufe um Stufe hinaufzukriechen; oben angekommen, richtete ich mich taumelnd auf und tastete mich durch die Küche in den Flur. Das Licht brannte, und die Türen standen offen. Anscheinend hatten Vita und die Jungen sich ins Schlafzimmer geflüchtet und sich eingeschlossen. Ich stolperte in den Flur und streckte die Hand nach dem Telefon aus. Fußboden und Decke verschmolzen miteinander. Ich setzte mich hin und hielt den Hörer in der Hand, bis der Boden nicht mehr schwankte und das Gewirr schwarzer Punkte im Telefonbuch sich zu Worten ordnete. Endlich fand ich Dr. Powells Nummer und wählte sie; als er sich meldete, ließ die innere Spannung nach, und ich fühlte, wie mir der Schweiß über das Gesicht strömte.
»Hier ist Richard Young aus Kilmarth«, sagte ich. »Sie erinnern sich vielleicht noch an den Freund von Professor Lane.«
»Oh … ja«, seine Stimme klang überrascht. Schließlich war ich nicht sein Patient, sondern nur einer unter Hunderten von Sommergästen.
»Etwas Furchtbares ist geschehen«, sagte ich. »Ich habe anscheinend in einer Art geistiger Umnachtung versucht, meine Frau zu erwürgen. Vielleicht habe ich sie verletzt, ich weiß es nicht.«
Meine Stimme war ruhig und verriet keine Bewegung, obgleich mein Herz wie rasend pochte und ich mir des Vorgangs deutlich bewußt wurde. Jetzt war keine Verwirrung, kein Verschmelzen der beiden Welten mehr möglich.
»Ist sie ohnmächtig?« fragte er.
»Ich glaube nicht. Sie hat sich vermutlich mit den Kindern im Schlafzimmer eingeschlossen. Ich spreche im Flur unten im Haus.«
Er schwieg, und einen Augenblick schwebte ich in der gräßlichen Angst, er werde sagen, das gehe ihn gar nichts an, und ich solle lieber die Polizei verständigen. Dann sagte er: »Gut, ich komme gleich rüber«, und legte auf.
Ich wischte mir den Schweiß vom Gesicht. Das Schwindelgefühl hatte nachgelassen, ich konnte wieder geradestehen. Ich ging langsam hinauf und durch das Ankleidezimmer an die Badezimmertür. Sie war abgeschlossen.
»Liebling, mach dir keine Sorgen«, rief ich, »es geht alles in Ordnung. Ich habe eben den Arzt angerufen. Er kommt gleich her. Bleib mit den Jungen dort, bis du seinen Wagen hörst.« Sie antwortete nicht, so daß ich jetzt lauter rief: »Vita, Teddy, Micky, habt keine Angst. Der Arzt kommt. Ihr braucht keine Angst mehr zu haben.«
Ich ging wieder hinunter, öffnete die Haustür und wartete auf der Eingangstreppe. Es war eine schöne Nacht. Die Sterne glänzten am Himmel. Nirgends war ein Laut zu hören. Auf dem Campingplatz hinter der Straße nach Polkerris schlief man offenbar schon. Ich sah auf meine Uhr. Es war zwanzig vor elf. Endlich hörte ich das Geräusch eines Wagens, der von Fowey herkam, und fing erneut an zu schwitzen, nicht aus Furcht, sondern vor Erleichterung. Das Auto hielt in der Auffahrt vor dem Haus. Ich ging dem Arzt durch den Garten entgegen.
»Gott sei Dank sind Sie gekommen«, sagte ich.
Wir traten gemeinsam ins Haus, und ich zeigte ihm den Weg. »Die erste Tür oben rechts, das ist mein Ankleidezimmer, aber sie haben das Badezimmer auch abgeschlossen. Sagen Sie, wer Sie sind, ich warte hier unten.«
Er lief hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm, und ich dachte schon, die Stille da oben bedeute vielleicht, daß Vita im Sterben lag und die Jungen neben ihr hockten, zu verängstigt, um sich zu rühren. Ich setzte mich ins Musikzimmer. Was würde geschehen, wenn er mir sagte, Vita sei tot? All dies geschah in Wirklichkeit, all dies war wahr.
Er blieb lange oben. Ich hörte, wie Möbel geschoben wurden, sie zogen wohl die Couch durch das Badezimmer ins Schlafzimmer. Ich hörte den Arzt und dann Teddy sprechen und fragte mich, was sie da wohl taten.
Kurz nachdem die Uhr im Flur elf geschlagen hatte, kam Dr. Powell wieder herunter. »Alles unter Kontrolle«, sagte er. »Keine Panikstimmung. Ihre Frau ist wohlauf und Ihre Stiefsöhne auch. Aber wie geht's Ihnen?«
Ich versuchte aufzustehen, aber er schob mich in den Stuhl zurück.
»Habe ich sie verletzt?« fragte ich.
»Leichte Druckstellen am Hals, sonst nichts«, sagte er. »Morgen ist es vielleicht ein bißchen blau, aber wenn sie einen Schal trägt, sieht man es nicht.«
»Hat sie Ihnen gesagt, was
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