Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
Katholik«, sagte ich. »Ich sehnte mich ungeduldig von Stonyhurst fort und bin seit Jahren nicht mehr zur Messe gegangen; was die Beichte anbelangt …«
    »Ich weiß«, sagte er, »alles verdrängt; ebenso wie Ihre Abneigung gegen Mönche, Stiefväter, Witwen, die wieder heiraten, und andere Kleinigkeiten dieser Art.«
    Ich goß ihm und mir eine Tasse Kaffee ein, schüttete viel zu viel Zucker in meine Tasse und rührte heftig erregt in ihr herum.
    »Glauben Sie mir«, wandte ich ein, »jetzt reden Sie Unsinn. Ich denke im gewöhnlichen Alltag überhaupt nicht an Mönche, Witwer oder Stiefväter – außer an mich selbst. Die Tatsache, daß diese Leute im vierzehnten Jahrhundert lebten und ich sie sehen konnte, war einzig auf die Droge zurückzuführen.«
    »Ja«, sagte er, »einzig auf die Droge.« Er stand plötzlich auf und schritt im Zimmer auf und ab. »Ich habe mit dieser Flasche, die Sie mir gegeben hatten, genau das getan, was Sie gleich nach dem Ermittlungsverfahren hätten tun sollen. Ich schickte sie Lanes Assistenten, John Willis, mit der kurzen Nachricht, daß das Zeug Ihnen schlecht bekommen sei, und bat ihn, mir so bald wie möglich das Ergebnis der Untersuchung mitzuteilen. Er war so freundlich, mich anzurufen, nachdem er meinen Brief erhalten hatte.«
    »Nun?« fragte ich.
    »Tja, Sie haben großes Glück, daß Sie noch am Leben sind, und nicht nur das, sondern daß Sie hier im Haus sein können und nicht in einer Irrenanstalt gelandet sind. Die Flüssigkeit enthielt vermutlich das stärkste halluzinogene Mittel, das je erfunden wurde, und darüber hinaus andere Substanzen, über die man noch nichts Genaueres weiß. Professor Lane arbeitete offenbar allein daran; er hat Willis nie ganz ins Vertrauen gezogen.«
    Gewiß hatte ich Glück, noch am Leben zu sein und nicht in der Irrenanstalt zu sitzen. Aber das alles hatte ich mir ja schon zu Beginn der Experimente gesagt.
    »Wollen Sie damit sagen, daß alles, was ich gesehen habe, nur eine Halluzination war, die aus den schlammigen Tiefen meines Unbewußten aufstieg?«
    »Nein, das nicht«, erwiderte er. »Ich glaube, daß Professor Lane einer Entdeckung auf der Spur war, die für die Hirnfunktion außerordentlich wichtig sein konnte, und er bestimmte Sie zum Versuchskaninchen, da er wußte, daß Sie alles tun würden, was er Ihnen sagte, und außerdem ein hochgradig beeinflußbarer Mensch sind.« Er trat an den Tisch und trank seinen Kaffee aus. »Übrigens bleibt alles, was Sie mir erzählt haben, so geheim wie im Beichtstuhl. Ich hatte anfangs einen Kampf mit Ihrer Frau auszufechten. Sie wollte Sie im Krankenwagen zu irgendeiner Kapazität in die Harley Street schicken, aber der hätte Sie auf dem schnellsten Weg für sechs Monate in eine psychiatrische Anstalt gesteckt. Ich glaube, sie vertraut mir jetzt.«
    »Was haben Sie ihr gesagt?« fragte ich.
    »Daß Sie am Rand eines Nervenzusammenbruchs waren und unter allzu starker Anspannung und verspäteter Schockwirkung infolge des plötzlichen Todes von Professor Lane standen. Sie müssen zugeben, daß das völlig wahr ist.«
    Ich stand vorsichtig auf und ging ans Fenster. »Sie können sagen, was Sie wollen«, begann ich langsam. »Beeinflußbarkeit, Nervenzusammenbruch, katholisches Gewissen – all das mag sein, aber die Tatsache, daß ich in jener anderen Welt war, daß ich sie sah und erlebte, bleibt bestehen. Es ging hart und grausam und sehr oft blutig darin zu, und die Leute waren ebenso hart und grausam, außer Isolda und am Schluß auch Roger, aber mein Gott, diese Welt übte eine Faszination auf mich aus, die meiner heutigen Zeit fehlt.«
    Er trat neben mich ans Fenster, bot mir eine Zigarette an, und wir rauchten eine Weile schweigend.
    »Die andere Welt«, sagte er schließlich, »ich glaube, wir alle tragen die andere Welt in uns, jeder auf seine Art. Sie, Professor Lane, Ihre Frau, ich selbst, und wir würden sie alle anders sehen, wenn wir das Experiment machten – was Gott verhüte!« Er lächelte und schnippte seine Zigarette aus dem Fenster. »Ich habe das Gefühl, meine Frau wäre auf eine Isolda nicht gut zu sprechen, wenn ich anfinge, sie im Treesmill-Tal zu suchen. Was nicht heißen soll, daß ich das im Laufe der Jahre nicht getan habe, aber ich bin zu realistisch, um für die vage Möglichkeit, ihr zu begegnen, sechshundert Jahre zurückzugehen.«
    »Meine Isolda lebte aber wirklich«, behauptete ich hartnäckig. »Ich habe tatsächlich vorhandene Stammbäume und

Weitere Kostenlose Bücher