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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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gesehen habe, daß ich sie sprechen hörte und ihnen zusah. Ich habe miterlebt, wie Isoldas Geliebter, Otto Bodrugan, in der Bucht von Treesmill ermordet wurde.«
    »Ich glaube Ihnen ja«, sagte er. »Wie wär's, wenn wir beide hinaufgingen und Sie mir den Rest von der Droge gäben?«
    Ich führte ihn ins Ankleidezimmer und holte die Flasche aus dem Koffer. Er musterte sie nicht weiter, sondern steckte sie gleich in seine Mappe.
    »Und jetzt sage ich Ihnen, was ich vorhabe«, erklärte er. »Ich verabreiche Ihnen ein tüchtiges Beruhigungsmittel, das Sie bis morgen früh außer Gefecht setzt. Haben Sie noch einen anderen Raum im Hause, in dem Sie schlafen können?«
    »Ja, das Gästezimmer gleich neben der Treppe.«
    »Gut. Holen Sie sich einen Schlafanzug, und dann gehen wir zusammen hin.«
    Im Gästezimmer zog ich mich aus und legte mich ins Bett; ich fühlte mich auf einmal zahm und demütig wie ein Kind ohne Verantwortung.
    »Ich tue alles, was Sie wollen«, sagte ich. »Lassen Sie mich gleich hinüberdämmern, wenn Sie wollen, so daß ich nie wieder aufwache.«
    »Das werde ich nicht tun«, erwiderte er und lächelte zum erstenmal. »Wenn Sie morgen die Augen öffnen, bin ich wahrscheinlich das erste, was Sie sehen.«
    »Dann schicken Sie mich also nicht ins Krankenhaus?«
    »Wahrscheinlich nicht. Wir können morgen früh noch darüber sprechen.«
    Er zog eine Spritze aus der Tasche. »Es ist mir gleich, was Sie meiner Frau sagen«, bemerkte ich, »solange Sie ihr nicht von der Droge erzählen. Lassen Sie sie im Glauben, daß ich total betrunken war. Was immer geschieht, sie darf auf keinen Fall von der Droge erfahren. Sie mochte Magnus – Professor Lane – ohnehin nicht, und wenn sie davon erführe, würde sie ihn in der Erinnerung noch mehr hassen.«
    »Das ganz gewiß«, antwortete er, während er meinen Arm mit Alkohol einrieb, bevor er die Nadel hineinsteckte, »und man könnte es ihr wohl kaum übelnehmen.«
    »Die Sache ist die: Sie war eifersüchtig«, fuhr ich fort. »Wir kannten uns schon viele Jahre lang, er und ich; wir hatten beide in Cambridge studiert. Ich kam damals oft zu Besuch und wohnte hier, und Magnus übernahm stets die Führerrolle. Wir waren immer zusammen; uns interessierten und amüsierten die gleichen Dinge, Magnus und ich … Magnus und ich …«
    Abgrundtiefe oder langer, süßer Todesschlaf – mir war alles einerlei. Fünf Stunden, fünf Monate, fünf Jahre … in der Tat erfuhr ich später, daß es fünf Tage dauerte. Immer, wenn ich die Augen öffnete, war gerade der Arzt da und gab mir noch eine Spritze, oder er saß am Bettende, baumelte mit den Beinen und hörte mir zu. Manchmal sah Vita mit unsicherem Lächeln durch die Tür herein und verschwand wieder. Mrs. Collins und sie machten mein Bett, wünschen und fütterten mich – obwohl ich mich durchaus nicht erinnern könnte, daß ich überhaupt etwas aß. Die Erinnerung an diese Tage ist ausgelöscht. Ich wußte nicht, ob ich fluchte, Unzusammenhängendes redete, das Bettzeug zerriß oder nur schlief. Man sagte mir jedoch hinterher, daß ich abwechselnd schlief und redete. Nicht mit Vita oder Mrs. Collins, sondern mit dem Arzt. Ich habe keine Ahnung, wie viele Sitzungen es zwischen den einzelnen Spritzen wurden, und weiß auch nicht, was ich sagte, aber ich spuckte, wie man so sagt, die ganze Geschichte vom Anfang bis zu Ende aus, mit dem Ergebnis, daß ich mich um die Mitte der folgenden Woche, als ich wieder mehr oder weniger bei Verstand war und aufrecht in einem Stuhl saß, nicht nur körperlich und geistig ausgeruht, sondern auch völlig entleert fühlte.
    Das sagte ich dem Arzt bei einem Kaffee, den Vita hereingebracht hatte; er lachte und meinte, eine gründliche Entleerung könne nie schaden, und es sei erstaunlich, wieviel Zeug die Leute in ihrem Unterbewußtsein vergrüben, obwohl es viel besser wäre, wenn es ans Licht käme.
    »Und Sie wissen ja, daß Ihnen die Seelenreinigung auf Grund Ihrer katholischen Erziehung leichter wird als anderen«, fügte er hinzu.
    Ich starrte ihn an. »Woher wissen Sie, daß ich katholisch bin?« fragte ich.
    »Das kam alles im gleichen Atemzug heraus.«
    Ich war merkwürdig erschrocken. Zwar hatte ich mir gedacht, daß ich ihm alles über das Experiment mit der Droge erzählt und ihm das Geschehen in der anderen Welt eingehend geschildert hatte. Aber daß ich als Katholik geboren und erzogen worden war, hatte doch nichts damit zu tun.
    »Ich bin ein sehr schlechter

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