Ein Tropfen Zeit
es für sicherer hältst, aber ich glaube kaum, daß Bruder Jean etwas zu befürchten hat. Er war absolut diskret.«
Sie lächelte dem jungen Mönch zu, der mit einem Blick seiner ausdrucksvollen Augen antwortete, und ich fragte mich, ob sie außer dem jetzt abwesenden Sir John auch ihm in den Wochen der Krankheit ihres Mannes ihre Gunst gewährt hatte. Roger und der Mönch packten die Schalen zusammen und wickelten sie in ein Sacktuch, während ich weiter das Gemurmel der Stimmen vom Flur her hörte, dem ich entnahm, daß Lady Ferrers zu weinen aufgehört hatte und wieder in vollem Gange war.
»Wie nimmt mein Bruder Otto es auf?« fragte Joanna.
»Er äußerte sich nicht, als Sir William zu bedenken gab, daß es besser sei, Sir Henry in der Kapelle von Bodrugan zu beerdigen als in der Priorei. Ich glaube kaum, daß er sich einmischen wird. Sir William empfahl als weitere Möglichkeit seine Kirche in Bere.«
»Wozu?«
»Vielleicht, um nicht mehr Ansehen zu verschaffen – wer weiß? Ich würde davon abraten. Wenn sie Sir Henrys Leichnam einmal in ihren Händen haben, kann man mit allen möglichen lästigen Einmischungen rechnen. In der Kapelle der Priorei hingegen …«
»Wäre alles in Ordnung. Sir Henrys Wünsche wären erfüllt, und wir hätten Frieden. Du müßtest nur dafür sorgen, daß es keine Schwierigkeiten mit den Pächtern gibt. Die Priorei ist nicht sehr beliebt bei den Leuten.«
»Es wird gutgehen, wenn man sie bei der Begräbnisfeier gut bewirtet«, antwortete er. »Man muß ihnen Milderung der Strafen beim nächsten Gerichtstag und Vergebung aller Sünden zusichern. Das müßte sie zufriedenstellen.«
»Wir wollen es hoffen.« Sie schob ihren Webrahmen beiseite, stand auf und trat an das Bett. »Lebt er noch?« fragte sie.
Der Mönch griff nach dem schlaffen Handgelenk und fühlte den Puls, dann beugte er den Kopf, um dem Herzschlag des Todkranken zu lauschen.
»Kaum«, antwortete er. »Ihr könnt schon die Kerzen anzünden, wenn Ihr wollt; bis man die Familie zusammengerufen hat, ist es mit ihm zu Ende.«
Sie hätten ebenso gut von einem abgenützten Möbelstück sprechen können wie von dem sterbenden Mann Joannas. Diese kehrte jetzt zu ihrem Stuhl zurück, hob einen schwarzen Schleier auf und legte ihn um Kopf und Schultern. Dann nahm sie einen silbernen Spiegel vom Tisch.
»Soll ich ihn so tragen«, fragte sie den Verwalter, »oder soll ich das Gesicht ganz bedecken?«
»Es ziemt sich wohl, sich ganz zu verhüllen«, sagte er, »es sei denn, Ihr könnt auf Wunsch weinen.«
»Ich habe seit meiner Hochzeit nicht mehr geweint«, sagte sie.
Der Mönch legte dem Sterbenden die Hände auf der Brust zusammen und befestigte eine Leinenbinde unter dessen Kinn. Dann trat er zurück, prüfte sein Werk und schob, um das Ganze zu vollenden, ein Kruzifix zwischen die gefalteten Hände.
Inzwischen ordnete Roger den Tisch. »Wie viele Kerzen soll ich aufstellen?« fragte er.
»Am Todestag fünf«, erwiderte der Mönch, »zu Ehren der fünf Wunden unseres Herrn Jesus Christus. Habt Ihr ein schwarzes Tuch für das Bett?«
»Drüben in der Truhe«, sagte Joanna, und während der Mönch gemeinsam mit dem Verwalter das Bahrtuch über das Bett breitete, blickte sie zum letztenmal in den Spiegel, bevor sie ihr Gesicht mit dem Schleier verhüllte.
»Wenn ich mir erlauben darf«, murmelte der Mönch, »es würde einen besseren Eindruck machen, wenn meine Herrin neben dem Bett kniete und ich mich ans Fußende stellte. Wenn die Familie dann ins Zimmer kommt, kann ich die Totengebete sprechen, es sei denn, Ihr möchtet das lieber dem Priester des Dorfes überlassen.«
»Der ist so betrunken, daß er nicht die Treppe heraufkommt«, sagte Roger. »Wenn Lady Ferrers ihn so zu Gesicht bekommt, ist er erledigt.«
»Dann laßt ihn«, sagte Joanna, »wir wollen weitermachen. Roger, würdest du bitte hinuntergehen und die anderen rufen? William zuerst, denn er ist der Erbe.«
Sie kniete neben dem Bett nieder, den Kopf wie in Schmerz gesenkt, hob ihn aber noch einmal, bevor wir hinausgingen, und sagte, über die Schulter zurückgewandt, zum Verwalter: »Als mein Vater starb, hat das meinen Bruder Otto in Bodrugan beinahe fünfzig Dukaten gekostet – die Tiere, die für das Totenmahl geschlachtet wurden, nicht eingerechnet. Wir dürfen nicht hintenstehen. Spare keine Kosten.«
Roger schob die Vorhänge an der Tür zurück, und ich folgte ihm. Der Kontrast zwischen dem hellen Tageslicht draußen und der
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