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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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versuchen und mir darüber berichten. Vielleicht habe ich mich ganz und gar getäuscht. Vielleicht bewirkt das Mittel bei dir nichts anderes, als daß deine Hände und Füße eine Weile taub werden und dein Hirn – so wie's mit deinem nun einmal steht, mein Bester – etwas aktiver wird, als es im Augenblick ist.«
    Natürlich hatte er mich nach einem weiteren Glas Kognak überredet. Er gab mir ausführliche Anweisungen für das Labor, überreichte mir die Schlüssel dazu und zu dem Schrank, in dem er die Droge aufbewahrte, und beschrieb die plötzliche Wirkung, die eintreten könnte – keine Übergangsphase, sondern unmittelbares Einsetzen des ›anderen‹ Zustands. Er erwähnte als mögliche Nachwirkungen auch eine vorübergehende Übelkeit. Erst als ich wissen wollte, was ich wohl sehen würde, tat er ausweichend.
    »Nein«, sagte er, »dann wärst du unbewußt voreingenommen und würdest vielleicht nur das sehen, was ich sah. Du mußt das Experiment bei klarem Kopf, mit offenen Sinnen und ohne Vorurteile durchführen.«
    Wenige Tage später verließ ich London und fuhr nach Cornwall. Das Haus war gelüftet und hergerichtet – Magnus hatte Mrs. Collins aus Polkerries, einem kleinen Dorf unterhalb von Kilmarth, benachrichtigt, und ich fand die Vasen mit Blumen gefüllt, Essen im Kühlschrank, ein Kaminfeuer im Musikzimmer und in der Bibliothek, obwohl es erst Mitte Juli war; Vita selbst hätte es nicht besser machen könne. In den ersten zwei Tagen genoß ich die Ruhe und den Komfort, der, wenn ich mich recht entsann, früher gefehlt hatte, als Magnus' reizende, ein wenig exzentrische Eltern hier noch herrschten. Der Vater, Fregattenkapitän Lane, ein pensionierter Seeoffizier, hatte eine Leidenschaft für Segelpartien in einer Zehntonnenjacht, in der wir jedesmal seekrank wurden; die Mutter, ein charmantes, etwas rätselhaftes und kapriziöses Wesen, trug stets einen riesigen breitrandigen Hut – im Haus und draußen, gleichgültig wie das Wetter war – und tat nichts, außer verblühte Rosen von den Büschen zu schneiden, die sie mit Begeisterung, aber auffallend wenig Erfolg züchtete. Ich lächelte über die beiden und liebte sie, und als sie im Abstand von einem Jahr starben, trauerte ich fast mehr um sie als Magnus.
    Das alles schien jetzt weit zurückzuliegen. Das Haus war sehr verändert und modernisiert, aber irgendwie lebte das gewinnende Wesen der beiden noch fort; so empfand ich es wenigstens in den ersten Tagen. Jetzt, nach dem Experiment, war ich nicht mehr so sicher. Ich hatte nämlich, da ich damals in den Ferien nur selten ins Kellergeschoß vorgedrungen war, nicht bemerkt, daß das Haus auch andere Erinnerungen barg.
    Ich schaltete das Grammophon ein und nahm aufs Geratewohl eine Platte vom Stapel. Das dritte Brandenburgische Konzert sollte meine Ruhe und meinen Gleichmut wiederherstellen. Aber Magnus mußte seine Platten in die falschen Hüllen gesteckt haben, als er das letztemal hier war, denn nicht die streng harmonische Musik Bachs berührte mein Ohr, während ich auf dem Sofa vor dem Kaminfeuer lag, sondern das etwas gespenstische und beunruhigende Rauschen von Debussys La Mer. Da hatte Magnus, als er Ostern hier war, eine interessante Wahl getroffen. Ich hatte gedacht, er mache sich nichts aus dem impressionistischen Komponisten. Vermutlich hatte ich mich geirrt – oder sein Geschmack hatte sich im Laufe der Jahre geändert. Hatte seine Beschäftigung mit dem Unbekannten das Gefallen an quasi mystischen Klängen geweckt, an der magischen Beschwörung des Meeres? Hatte Magnus, ebenso wie ich heute nachmittag, gesehen, daß die Bucht früher das Land um uns bedeckte? Hatte er die grünen Felder so scharf und klar gesehen, die blauen Wogen, die ins Tal hineinschlugen, die Mauern der Priorei, die sich vor dem Hintergrund der Hügel abzeichneten? Ich wußte es nicht; er hatte es mir nicht gesagt. So viele Fragen waren nach jenem abgebrochenen Telefongespräch offengeblieben.
    Ich ließ die Platte bis zu Ende spielen, aber sie beruhigte mich nicht, sondern rief die entgegengesetzte Wirkung hervor. Das Haus schien nun, da die Musik verstummt war, seltsam still, und ich ging mit den an- und abschwellenden Klängen von La Mer im Ohr durch den Flur zur Bibliothek und sah durchs Fenster zum Meer hinüber. Es war schiefergrau, stellenweise – dort, wo der Westwind es peitschte – noch dunkler, aber ruhig und kaum bewegt. Ganz anders als die wilde blaue See, die ich am Nachmittag in

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