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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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jener anderen Welt erblickt hatte.
    Zwei Treppen führen ins Kellergeschoß von Kilmarth. Die erste geht vom Flur aus direkt in den Vorratskeller, den Heizungsraum und von dort in den Innenhof. Die zweite erreicht man, wenn man von der Küche zum Hintereingang geht, durch die alte Küche, die Speisekammer und die Waschküche. Diese Waschküche, zu der man über die zweite Treppe gelangt, hatte Magnus in ein Labor umgewandelt.
    Ich ging hinunter, drehte den Schlüssel in der Tür und trat noch einmal ins Labor. Es hatte nichts Klinisches. Der alte Ausguß stand immer noch auf dem mit Steinfliesen ausgelegten Boden unter dem kleinen vergitterten Fenster. Daneben befand sich ein Kamin mit einem in die breite Mauer eingefügten Lehmofen, in dem früher Brot gebacken wurde. In der mit Spinnetzen überzogenen Decke steckten rostige Haken, an denen einst wohl eingesalzenes Fleisch und Schinken gehangen hatten.
    Magnus hatte seine seltsamen Präparate auf dünnen Regalen aufgestellt. Zum Teil waren es Skelette, zum Teil mehr oder minder gut erhaltene Tiere, die in einer chemischen Lösung konserviert wurden. Die meisten konnte man schwer erkennen – soviel ich wußte, waren es Katzen oder Ratten im Embryozustand. Die beiden Exemplare, die ich erkannte, waren der Affenkopf, ein vollkommen erhaltener glatter Schädel, der dem Kopf eines winzigen ungeborenen Kindes glich, und daneben noch ein Affenkopf, aus dem man das Hirn entfernt hatte, das jetzt in einem Gefäß in der Nähe lag. Andere Gefäße und Flaschen enthielten Pilze, Pflanzen und Gräser, seltsam geformt und mit zusammengerollten Blättern.
    Ich hatte mich am Telefon über Magnus lustig gemacht und das Labor Blaubarts Zimmer genannt. Als ich mich jetzt, an die Erlebnisse des Nachmittags zurückdenkend, noch einmal umsah, schien mir der kleine Raum eine neue Eigenschaft anzunehmen. Er erinnerte mich nicht mehr an den Mann, der seine Frauen umbrachte, sondern an einen Kupferstich, der mich schon als Kind geängstigt hatte: ›Der Alchimist‹. Eine bis auf ein Lendentuch nackte Gestalt kauerte an einem gemauerten Ofen, der dem in der Waschküche glich, und fachte mit einem Blasebalg das Feuer an; zu seiner Linken standen ein Mönch mit Kapuze und ein Abt mit einem Kreuz. Ein vierter Mann in mittelalterlicher Kleidung stützte sich auf einen Stock und sprach mit ihnen. Auch dort sah man Flaschen und offene Gefäße mit Eierschalen, Haaren, fadenähnlichen Würmern auf einem Tisch; in der Mitte des Zimmers stand ein Dreifuß mit einem runden Glaskolben darauf, und in dem Kolben lag eine winzige Eidechse mit einem Drachenkopf.
    Warum kehrte die Erinnerung an jenen furchterregenden Kupferstich erst jetzt, nach rund fünfunddreißig Jahren, zurück, um mich zu verfolgen? Ich wandte mich ab, schloß die Tür des Labors und ging nach oben. Länger konnte ich auf den dringend benötigten Whisky nicht warten.

3
    Am nächsten Tag regnete es, einer jener unaufhörlichen Sprühregen, die mit dem vom Meer heranwallendem dichten Nebel kommen und einem das Vergnügen am Draußensein vergällen. Beim Erwachen fühlte ich mich völlig normal, ich hatte überraschend gut geschlafen, aber als ich die Vorhänge aufzog und das Wetter sah, ging ich etwas verzagt zurück ins Bett und fragte mich, was ich den ganzen Tag lang mit mir anfangen sollte.
    Das war das Klima Cornwalls, über das Vita bereits ihre Bedenken geäußert hatte, und ich konnte mir vorstellen, welche Vorwürfe ich zu hören bekommen würde, wenn meine kleinen Stiefsöhne trübsinnig aus den Fenstern starrten, in Stulpenstiefel und Wettermäntel gezwängt wurden und heftig protestierten, wenn man sie zu einem Spaziergang am Strand hinausschickte. Vita würde zwischen Musikzimmer und Bibliothek hin und her gehen, die Möbel umstellen und sagen, wie viel besser sie die Zimmer hätte einrichten können, wenn es ihre wären. Und wenn auch das langweilig wurde, würde sie einen ihrer vielen Freunde in der amerikanischen Botschaft in London anrufen, die ausnahmslos Reisen nach Sardinien oder Griechenland planten. Eine Weile blieben mir diese Symptome der Unzufriedenheit noch erspart, und die Tage vor mir, regnerisch oder schön, waren zumindest frei, eine Zeit, die ich nach Belieben gestalten konnte.
    Die gefällige Mrs. Collins brachte mir mein Frühstück und die Morgenzeitung herauf, bemitleidete mich wegen des Wetters, sagte, der Professor finde in jenem seltsamen kleinen Zimmer ›da drunten‹ immer reichlich zu tun,

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