Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Mr. Ripple, und ich danke Ihnen von Herzen ...« Er schien das wirklich ernst zu meinen.
Er schloß die Tür hinter sich, aber ich wußte, er würde noch einmal zurückkommen. Eine Weile lauschte ich nach seinen Schritten auf der Treppe und stellte mir vor, daß er draußen wartete. Und als ich dann gerade dabei war, den Fernseher anzuschalten, ging hinter mir die Tür auf. Ich drehte mich um und sah ihn dort stehen, sehr aufrecht, den Kopf erhoben, das Gesicht glänzend und grau wie Stein, die Augen blinzelnd, als müßten sie sich erst an ein grelles Licht gewöhnen.
»Kümmern Sie sich um sie, Mr. Ripple. Sie müssen sich um sie kümmern.«
Er streckte mir die Hand entgegen, und ich sah, daß er Tränen in den Augen hatte. Ich sagte mir, das sei auch nur wieder eine Show und er sei nach draußen gegangen, um seinen Auftritt zu proben. Ich rührte mich nicht, und er zog die Hand zurück und schaute sie dabei an, als würde ihn seine eigene Vermessenheit schockieren. Dann starrte er mich lange an und schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist alles nur mein polnischer Unsinn, Mr. Ripple. Aber ich sage es Ihnen. Eines Tages müssen Sie sie zurückbringen. Bringen Sie sie zurück. Ich glaube, das sollten Sie wirklich tun.«
Und damit ging er. Er schloß die Tür nicht, und ich hörte ihn langsam die Treppe hinuntergehen und immer wieder stehenbleiben, als sollte ich seine Schritte noch lange hören und dadurch sein Verschwinden aus meinem Leben weniger leicht vergessen, den Klang seiner Schritte auf der Treppe hinunter in seinen stillen letzten Winter. Wobei ich dies nun einige Monate später schreibe. Zu der Zeit notierte ich mir nur, was er gesagt hatte, peinlich berührt, weil man mich so ins Vertrauen zog, so als hätte man mir ein unfertiges Manuskript anvertraut, in einer Sprache, die ich nicht verstand.
In den folgenden Wochen vergaß ich ihn fast. Oder versuchte es zumindest, denn das Unbehagen, das er mir bereitet hatte, wurde ich nicht los, diese drängende Höflichkeit in seiner Stimme. Ich hörte meine Mutter sagen: »Bleib für dich, dann wirst du nicht enttäuscht.« Und er ließ mich auch an meinen Vater denken, der keine Kraft hatte und nur stumm zuschaute, ohne eigenes Urteil, aber immer das Schlimmste befürchtend.
Die Ballerinen halfen mir, ihn aus meinem Kopf zu verdrängen. Am folgenden Sonntag brachte ich ihnen wieder die Zeitung, doch diesmal klopfte ich an die Tür. Das war nicht so unverfroren von mir, wie Sie jetzt vielleicht denken, denn in der Nacht zuvor war die Tür bis in die frühen Morgenstunden auf- und zugegangen, und der Krach hatte gedröhnt wie ein außer Kontrolle geratener Verstärker, gesteigert noch durch eine breite Auswahl fröhlicher, hoher Stimmen, die nur den widerlichsten Leuten auf dieser Welt gehört haben konnten. Wie sehnte ich mich nach Fosters Rückkehr in seinem silbernen Gefährt. Was ich zu sagen beschlossen hatte, war: Nach diesem entsetzlichen Radau gestern nacht sage ich euch unverblümt, wenn das noch einmal passiert, sitzt ihr auf der Straße, egal wie das Wetter ist.
Die Tür ging auf, und ich sagte zu dem Mädchen, das vor mir stand: »Zeitung?«
Sie nahm sie und sagte dann, allerdings bei weitem nicht sofort: »Wollen Sie vielleicht auf eine Tasse Kaffee hereinkommen? Ich fürchte nur, die Wohnung ist gerade ein wenig unaufgeräumt.«
Das war sie tatsächlich. Überall lagen Polster und Tassen und Gläser und Teller und Flaschen und nicht wenige Kleidungsstücke verstreut. Sogar einige Daunenkissen und Bettdecken lagen herum. Es war ein heller Tag, und der Staub tanzte in den Sonnenstrahlen über dem Unrat. Sie räumte einen einarmigen Sessel für mich frei und ging in die Küche, und dann war einiges an Getuschel zu hören, zweifellos darüber, wie gastfreundlich oder wie ungastlich man mich aufnehmen sollte, in Anbetracht der Gesamtsituation. Nach einer Weile kamen beide mit Kaffeetassen in den Händen wieder ins Zimmer. Sie trugen beide schwarze Freizeithosen und T-Shirts, das eine weiß mit der Aufschrift »Komm tanzen« darauf, das andere orange mit zwei Lippenpaaren an den Stellen, wo normalerweise die Brüste waren. Ihre Gesichter sahen aus, als wären sie erst vor ein paar Minuten heftig, aber nur zum Teil geschrubbt worden, und die Haare hatten sie beide zu Pferdeschwänzen zusammengefaßt, so daß ich in dem staubigen Dunst zuerst nicht erkennen konnte, welche welche war, nur diejenige, die diesmal zur Tür gekommen war, dürfte
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