Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
in seinem Rücken. Dann ächzte er laut auf und entblößte die Zähne. »Wenn ich Sie wäre, alter Junge, würde ich keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Kümmern Sie sich nur um Ihren Kram. Schauen Sie nur, was mit Dickenson passiert ist. Jetzt gehen Sie und schalten Sie Ihren Fernseher an oder holen Sie sich einen runter oder was auch immer. Nicht persönlich gemeint. Die Tänzerinnen sind brav gewesen, oder?«
Aber er wartete meine Antwort nicht ab, sondern schloß leise die Tür hinter sich.
Drei Tage später. Ich traf ihn vor dem Haus auf der Straße, und er nickte in die Richtung der Kellerwohnung.
»Arme Trottel. Nicht viel los dort, was? Polen. Pah!«
Ich ging mit ihm bis zur Ecke, und er deutete auf zwei Schwarze, die sich vor dem Waschsalon unterhielten. »Die haben’s ganz schön weit gebracht, was? Gefällt mir, Afrikaner im Anzug, die Geschäfte machen, als würde das Land ihnen gehören. Also für mich geht das schon in Ordnung. Wohin es einen eben verschlägt, dann das Beste daraus machen. Besser hier als dort. Was ich nicht ertragen kann, sind Jammerlappen.«
Dabei schaute er mich an, wie um zu entscheiden, zu welcher Kategorie er mich zählen sollte. Vor dem Waschsalon blieb ich stehen. Er wußte, daß ich dort arbeitete.
»Läuft gut da drinnen, was? Über Zahlen kann man diesen Patels ja nicht mehr viel erzählen. Da wird einiges gedreht, nicht?«
»Natürlich nicht. Wie kommen Sie drauf? Außerdem heißen sie nicht Patel.« So redete kein Jammerlappen.
»Hab’s ja nicht wirklich geglaubt. Warum sollten sie auch?
Kommen ja auch ohne ganz gut zurecht.« Und mit einem Achselzucken ließ er mich stehen.
Ungefähr vor einer Woche sah ich den Polen noch einmal. Es sollte das letzte Mal sein. Er kam zu mir unter dem Vorwand, er müsse den Wassertank auf dem Dachboden hinter meiner Wohnung kontrollieren. Es war gegen sechs am Abend, und ich war eben aus dem Waschsalon mit einem Sack Wäsche zurückgekehrt, die ich nun sortierte, um zu entscheiden, wie wenig davon ich bügeln mußte. Ich hatte gehört, wie er die Treppe hochkam, sehr langsam, mit einer Pause alle paar Schritte. Ich bat ihn herein und bot ihm einen Drink an. Er ließ sich aufs Sofa sinken, hob den Kopf und schloß die Augen, als wollte er, daß ich ihn mir gut anschaute. Wieder trug er einen dunkelgrauen Anzug und ein weißes Hemd, und seine Krawatte war blau mit kleinen Flügeln darauf. Seine Schuhe waren auf Hochglanz poliert, und seine gravierten, goldenen Manschettenknöpfe glänzten. Ich fragte mich, ob er sich nur für mich so anzog. Er war auch frisch rasiert, und sein Gesicht, so ins Licht gestreckt, war straff gespannt wie eine Gummihaut und bleich, so daß es aussah, als würde sich alle Farbe in den Höhlungen um seine Augen konzentrieren. Es war kein altes Gesicht, sondern das eines Mannes in der Blüte seiner Jugend, der nur sehr müde und sehr krank war. Bis dahin waren mir an ihm nur seine Selbstsicherheit und Würde aufgefallen, und aus irgendeinem Grund schämte ich mich deswegen. Als ich ihm seinen Wodka gab, richtete er sich abrupt auf, als hätte er geschlafen.
»Das ist besser«, sagte er, nachdem er ihn gekippt und sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt hatte. »Ich sollte zwar nicht, sagt der Doktor, aber irgendwie scheint es mir zu helfen.«
Sein Gesicht entspannte sich, und die Wangen färbten sich rosa. Seine Augen glänzten feucht, und mit einem kurzen, lauten Auflachen hob er die Faust über den Kopf, wie um einen Sieg zu feiern. »Ha«, sagte er. »Wissen Sie, kapitulieren werden wir nie. Sie kennen doch unser Sprichwort: So laßt uns Narren sein und hoffen.«
Dann ließ er sich ebenso unvermittelt wieder ins Sofa zurücksinken. Es war, als würde er eine Rolle in einem Theaterstück
spielen oder irgendeinen grandiosen dramatischen Effekt proben, aber es war eben nur eine Darstellung, eine Imitation dessen, wie das Leben hätte sein können. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Der Augenblick war vorüber. Und dann lächelte er mich an, als würde er sich schämen, daß er so getan hatte, als wäre er mehr als ein törichter, alter Mann, der in meinen Augen kein Mitleid sehen wollte. In diesem Augenblick hätte ich gern etwas gesagt, das mit Sympathie überhaupt nichts zu tun hatte. Ich hob die Wodkaflasche, aber er schüttelte den Kopf.
»Nein, Mr. Ripple. Auch Wodka ist die Mutter der Narren. Ich muß Ihnen sagen, wie heißt das in Ihrer Sprache, meine Tage sind
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