Ein unerhörtes Angebot
Narren machte.
Doch dann zwang sie sich, an die grobe Beleidigung zu denken, die ihr vor kaum einer Stunde von ihm widerfahren war. Sie hatte allen Mut zusammennehmen müssen, um etwas so Ungehöriges zu wagen und einen Junggesellen in seinem Haus aufzusuchen. Ohne einen bestimmten Plan und nur mit der Hoffnung, dass er ihrem Bericht von der misslichen Lage ihrer Familie ein mitfühlendes Ohr schenken würde, war sie aufgebrochen. Sie hatte lediglich erwogen, ihn darum zu bitten, den Kauf ihres Heims so lange zu verzögern, bis die Heirat ihrer Schwester mit Philip Goode in die Wege geleitet war. Vielleicht hätte sie die Tatsache unterstreichen können, dass es sich bei dem zukünftige Bräutigam um einen Verwandten von ihm handelte. Allerdings wäre ihrem Ansinnen wohl kaum Erfolg beschieden gewesen. Ein Grobian wie Jason Hunter nahm keinen Anteil an der Hochzeit eines verarmten entfernten Cousins. Es wäre besser gewesen, wenn sie stattdessen noch einmal bei ihrem Bruder vorgesprochen hätte, denn ihre Situation wurde langsam unerträglich.
Die Droschke hielt vor Westlea House, und Helen reichte dem Fahrer ein paar Münzen. Sie betrachtete sein mit tiefen Falten durchzogenes Gesicht und überlegte, ob sie seine Aufmerksamkeit darauf lenken sollte, dass er beinahe eine der angesehensten Persönlichkeiten des ton über den Haufen gefahren hätte. Stattdessen fügte sie, ganz gegen ihre Gepflogenheit, ein kleines Trinkgeld hinzu.
In ihrem Zimmer angekommen, zog sie ihr graues Samtkleid aus und hängte es ordentlich an einen Haken. Heute Morgen hatte sie sehr bedachtsam unter den wenigen eleganten, wenn auch unmodischen Kleidern gewählt, die sie noch besaß. Sie hatte Sir Jason nicht den Eindruck einer Verwahrlosten vermitteln wollen, die gekommen war, um Almosen zu erbitten. Ein schwaches Lächeln erschien auf Helens Lippen. Wie sie nun wusste, hätte sie genauso gut in Lumpen bei ihm vorsprechen können. Die sorgfältige Toilette war ganz umsonst gewesen.
Fröstelnd schlüpfte sie in ihr altes Tageskleid und legte sich einen dicken Wollschal um. Zweifellos bot sie einen seltsamen Anblick in ihrem verblichenen Kleid, das wie ein Sack an ihr herabhing, und dem perfekt hochgesteckten Haar. Sie nahm die Nadeln heraus, um die langen dunklen Locken in einem praktischen Knoten zusammenzuschlingen, als sie plötzlich hörte, dass der Türklopfer betätigt wurde.
Es gab nur einen Menschen, der sich das Recht nahm, seine Anwesenheit auf so gebieterische Art zu verkünden – Mr. Drover vom Lebensmittelgeschäft in der Monmouth Street. Helen rechnete schon seit über einer Woche mit seinem Kommen, und da sie ahnte, was er verlangen würde, war sie versucht, ihm gar nicht erst zu öffnen. Aber wenn ich das tue, zögere ich das Unvermeidliche nur hinaus, sagte sie sich. Und riskiere, dass er uns in Zukunft gar keine Ware mehr liefert. Mit einem leisen Seufzer ging sie die Treppe hinunter und suchte fieberhaft nach einleuchtenden Begründungen, die Mr. Drover erklärten, warum sie noch nicht bezahlt hatten, und ihn davon überzeugten, ihnen trotzdem weitere Lebensmittel zukommen zu lassen.
„Darf ich eintreten?“
Helens Herz setzte einen Schlag aus, um dann nur umso schneller weiterzupochen. Sie hatte die Tür geöffnet und sie beim Anblick des Gentlemans, der davor stand, ohne zu überlegen wieder geschlossen. Nur mit größter Überwindung riss sie sich zusammen und öffnete die Tür erneut, doch diesmal lediglich einen Spaltbreit. „Was wünschen Sie, Sir?“
Jason neigte den Kopf leicht zur Seite, um einen Blick auf die Frau zu erhaschen, die sich hinter der Tür mit dem abblätternden grünen Anstrich verbarg. Sie schien eher zierlich zu sein und trug das lange dunkle Haar offen. „Was ich wünsche? Ich möchte wissen, was Sie wünschen, Mrs. Marlowe … außer mich mit einer Droschke ums Leben zu bringen …“
Helen riss die Tür auf und sah entrüstet zu ihm hoch. „Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen Schaden zuzufügen! Es war ein Unfall. Und wenn Sie Manieren besäßen und mich empfangen hätten, als ich vorhin bei Ihnen vorsprach, wüssten Sie, was ich von Ihnen wollte.“
Jason sah sich einer zierlichen Frau in einem Kleid gegenüber, das schon bessere Tage gesehen und seiner Trägerin vermutlich auch einmal besser gepasst hatte. Jetzt war es zu weit und genauso abgetragen wie das Tuch, das sie sich um die Schultern geschlungen hatte. Er lenkte den Blick wieder auf ihr Gesicht. Sie war ein hübsches
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