Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Außerdem war sie viel zu unschuldig für einen Mann wie ihn. Trotzdem, er amüsierte sich.
Seth hätte sein Gespräch mit Beatrice Löwenström nur zu gern fortgesetzt, aber ihm wurde eine andere Tischdame zugewiesen, nämlich Leonite von Wöhler. Schon während er den Stuhl für die attraktive junge Frau vom Tisch zog, damit sie Platz nehmen konnte, erzählte sie ihm, dass ihr Vater eine Position bei Hofe hatte. Er musste einen Seufzer unterdrücken. Hofklatsch war nun wirklich das Grässlichste, was er sich vorstellen konnte.
Auf der anderen Seite des Tisches war Beatrice in eine lebhafte Unterhaltung mit ihrem Tischherrn vertieft. Sie lachten und kicherten, und worüber auch immer sie und der ältere Mann, ein Universitätsprofessor, sich unterhielten, es musste um Längen interessanter sein als Leonites Sermon über Bälle, Gesellschaften und die Bekannten ihrer Eltern. Er stocherte in seinem Essen. Schon immer hatte er eine Schwäche für intelligente Frauen gehabt und wünschte sich nun, Beatrice würde neben ihm sitzen.
«Das wäre doch mal was – Monets Gemälde im Original zu sehen», hörte er sie gerade sagen.
«Gefallen sie Ihnen?», gelang es Seth rasch über den Tisch hinweg einzuwerfen. Beatrice lächelte ihr strahlendes Lächeln. «Das Wenige, was ich gesehen habe, hat mir sehr gut gefallen.»
Zu seiner Linken stieß Leonite ein gekünsteltes Lachen aus. «Ich persönlich verstehe nur etwas von Bildern, auf denen man erkennen kann, was eigentlich dargestellt ist.» Sie warf Beatrice einen höhnischen Blick zu. «Ist das denn wirklich Kunst?»
«Monets Kunst ist in Paris eine große Sensation», entgegnete Beatrice. «Der Impressionismus scheint eine ganz neue Art des Ausdrucks zu sein.»
«Ich finde das hässlich», sagte Leonite abfällig. «Und ganz sicher ist es nichts, worüber sich eine Frau den Kopf zerbrechen sollte.»
Als Beatrice die elegante Deutsche ansah, blitzte etwas in ihren Augen auf. «Frauen sollten also nicht allzu viel eigene Ansichten haben, oder? Haben Sie das so gemeint? Wir sollten lieber die Männer entscheiden lassen, was wir uns ansehen und gut finden?»
Leonites sinnliche Lippen kräuselten sich amüsiert. «Und was ist daran so verkehrt?»
Seth merkte, wie Beatrice mit sich kämpfen musste, um Leonite nicht weiter zu provozieren, und er konnte sich seine Bemerkung nicht verkneifen: «Ja, das ist auch meine persönliche Erfahrung. Frauen lassen gern die Männer entscheiden», behauptete er im überheblichsten Ton, den er zustande brachte.
Beatrices dunkle Augenbrauen schnellten hoch, während Leonite zustimmend den Kopf senkte. Doch Beatrice ignorierte die Deutsche und wandte sich direkt an Seth. Ihre langen, schmalen Finger strichen über ihr Weinglas. «Ihre Erfahrung?», wiederholte sie. «Hm.»
«Klingt ja ganz so, als würden Sie das bezweifeln.» Er lehnte sich zurück. Beatrice musterte ihn.
«Meine Erfahrung sagt mir, dass die Leute die Dinge gern so betrachten, wie es ihren eigenen Interessen am dienlichsten ist. Sie sind nur empfänglich für Wahrnehmungen, die ihre bereits bestehenden Meinungen bestätigen. Was dem widerspricht, lassen solche Leute links liegen.»
Leonite schwieg, und alle anderen Unterhaltungen am Tisch waren verstummt, doch Beatrice schien diese Aufmerksamkeit nicht verlegen zu machen. Seth sah, wie sie tief Luft holte, wahrscheinlich um eine weitere treffsichere Bemerkung hinzuzufügen. Sie hatte sein Argument elegant abgeschmettert. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so gut amüsiert hatte. «Manche Leute würden jetzt sagen, dass Sie nicht so mit einem Mann sprechen sollten», erklärte er.
«Manche Leute würden sicher noch mehr sagen als das», erwiderte sie trocken. «Aber Sie haben natürlich recht, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich unhöflich war. Ich werde ab jetzt versuchen, ein besserer Mensch zu werden.»
Seth sah, wie es in einem ihrer Mundwinkel zuckte, und er wusste, er wusste , dass da noch mehr nachkommen würde. Unter dem Lachen, den Grübchen und dem leichten Ton verbarg sich ein stählerner Kern. Seth warf einen verstohlenen Blick zu Beatrices Onkel – er war ein Mann, der höchstwahrscheinlich der Meinung war, dass Frauen still und gehorsam zu sein hatten. Ungefähr wie Kinder. Oder Hunde. Sie hatte es sicher nicht leicht bei ihm.
«Sie versprechen aber das Gleiche, ja?», sagte Beatrice nun zu ihm. Seth wusste im ersten Moment
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