Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
hatte er inzwischen gründlich satt, und mit Beatrice hatte er zum letzten Mal zwischen Obst und Käse ein Wort gewechselt.
Während er langsam das Zimmer durchquerte, redete er sich ein, dass er überhaupt kein Interesse daran hatte, etwas mit einer so jungen Frau anzufangen. Aber er hatte ja auch gar nicht vor, sie zu verführen, dachte er, während er sich ihr näherte. Er wollte nur ein wenig mit ihr plaudern und sehen, ob sie aus der Nähe betrachtet noch genauso schimmerte oder ob die flackernden Kerzen seinen Augen einen Streich spielten. Er stellte sich hinter sie, so nah, dass er sie riechen konnte. Er hatte einen jungen, blumigen Duft erwartet, stattdessen roch er etwas Würziges, Warmes. Sie drehte sich nicht um, doch sie spürte seine Nähe: Er sah, dass sich die feinen Flaumhärchen an ihrem Nacken aufstellten, als er sich zu ihr hinunterbeugte.
«Sie mögen Musik», flüsterte er.
«Sehr», antwortete sie.
Ihre zarte Haut hatte die Farbe von Sahne. Er sah die Sommersprossen, die unter ihrem schweren Haarknoten verschwanden. Wie es sich wohl anfühlen würde, sie mit der Zunge zu verfolgen, dachte er, diese kleinen rotgoldenen Flecken zu kosten … «Ihre Cousine singt wunderbar», murmelte er ihrem Nacken zu.
Beatrice bebte, bevor sie antwortete. «Wenn sie Musik spielt oder singt, vergisst sie ihre Schüchternheit.»
«Spielen Sie auch ein Instrument?», fragte er, immer noch im Flüsterton, um den Gesang nicht zu stören.
«Sagen wir es so: Niemand, der mich jemals gebeten hat, ihm etwas vorzuspielen, hat diesen Wunsch ein zweites Mal vorgebracht», erwiderte sie.
Seth unterdrückte ein Lachen. «Sie sollten Ihre Fehler vor fremden Leuten besser verbergen.»
Sie wandte den Kopf ein wenig. «Sie haben vollkommen recht. Anscheinend trete ich heute dauernd ins Fettnäpfchen. Aber jetzt seien Sie still, Sie stören die Musik.»
Seth verzog den Mund. Er wusste sehr gut, dass er viel zu dicht hinter ihr stand. Anstand und guter Ton geboten, dass er ein Stück von ihr abrückte. Doch Anstand war noch nie seine starke Seite gewesen. Stattdessen rückte er noch ein Stückchen näher heran und sah, wie sie leicht zitterte. Ihr Rücken war nur noch einen Hauch von seiner Hemdbrust entfernt. Nonchalant lehnte er sich mit der Schulter an die Wand. Er konnte nicht anders, und er wusste auch nicht, ob er überhaupt anders wollte. Und nur weil es ihm so natürlich vorkam, diese duftende Frau zu berühren, ließ er langsam einen Finger über ihren Arm nach oben gleiten, an der Seite, die den Blicken der anderen Gäste entzogen war. Er streichelte sie, über das seidenumhüllte schmale Handgelenk bis hinauf zum Rand ihres Handschuhs. Sie gab einen erstickten Laut von sich, doch er konnte sich nicht bremsen. Behutsam glitt sein Finger über die nackte Haut, und auf einmal war er es, der erschauerte. Sie war so unglaublich weich, und seine eigene Reaktion überraschte ihn mehr als alles andere. Er hatte gehandelt, ohne nachzudenken, und jetzt konnte er sie nicht mehr loslassen, daher blieb er so stehen, während sie beide dem Lied lauschten.
Schließlich verklang die Musik, und Beatrices blonde Cousine nahm den verdienten Applaus entgegen. Obwohl Beatrice den Arm nicht weggezogen hatte, nahm Seth seine Hand nun fort, bevor sie doch noch irgendjemand sah. Beatrice senkte den Kopf und schwieg.
In dieser Nacht lag Beatrice noch lange wach, Sofia war schon längst eingeschlafen. Sie fragte sich, ob sie sich das alles vielleicht nur eingebildet hatte. Seth Hammerstaal war weltgewandt, erfahren und wahrscheinlich sehr vermögend. Und er sah gut aus, trotz der zynischen Fältchen um die Augen. Gegenüber Sofia hatte sie natürlich kein Wort über die Geschehnisse verloren. Sie teilten all ihre Gedanken miteinander, aber irgendetwas bewog sie, diese neuen Gefühle für sich zu behalten. Sie gestand sich ein, dass sie auch Angst hatte, sich lächerlich zu machen und zu erzählen, was sie fühlte, diesen unwahrscheinlichen Gedanken in Worte zu fassen – dass ein Mann wie dieser sich für eine Frau wie sie interessieren könnte. Doch ihr Gespräch schien ihn amüsiert zu haben. Sie blinzelte ins Dunkel. Von der Straße drangen die Geräusche der Stadt herauf, späte Kneipenbesucher auf dem Heimweg, Handwerksgesellen, die sich nach ihrer Nachtschicht heimschleppten, vereinzelte Rufe in den Gassen. Doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zu der Szene im Musikzimmer. Die Liebkosung war ebenso überraschend wie
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