Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
zusammenballte. Er begriff, dass er nahe dran war, aufzuspringen und einem von Karins prominentesten Gästen den Hals umzudrehen. «Das ist ganz einfach eine Frage des gesunden Menschenverstandes und der Wissenschaft», schloss der Graf.
Graf Carl-Jan Rosenschöld freute sich, diese aufmüpfige Frau endlich auf ihren Platz verwiesen zu haben. Sie war ganz grau im Gesicht. Und vorbildlich still.
Eigentlich hatte er heute Abend gar nicht kommen wollen. Fräulein Beatrice hatte bereits in der Oper keinen guten Eindruck auf ihn gemacht, und er wollte sich eigentlich nach einer anderen umsehen. Doch jetzt hatte sich die Lage geändert, befand er. Dieser Hammerstaal hat den ganzen Abend die Augen nicht von ihr abwenden können, und jetzt hat er sie verteidigt, als würde ihm etwas an ihr liegen. Der Graf schauderte. Gott, wie er diesen Seth Hammerstaal hasste. Dass dieser Emporkömmling von Beatrice begeistert war, war ein unerwarteter Umstand. Er lehnte sich zurück und ließ den Blick über die Tafel schweifen. Vielleicht sollte er die Sache doch noch einmal überdenken? Natürlich würde er die blonde Cousine vorziehen, die still und schüchtern neben dem jungen Stjerneskanz saß. Doch Wilhelm Löwenström war offenbar nicht so versessen auf seinen gesellschaftlichen Aufstieg, dass er seine siebzehnjährige Tochter für eine Eintrittskarte in die feinsten Salons getauscht hätte.
Doch mit seiner Nichte verhielt es sich offenbar anders. Der Graf betrachtete Beatrices weiße Brust und ihre bedrückte Haltung. Sie hatte einen gesunden Körper, alles saß, wo es sitzen sollte, und er brauchte wirklich eine junge Frau. Auf der anderen Seite des Tisches murmelte Hammerstaal eine Frage, und die Rothaarige antwortete ihm mit einem Lächeln. Der Graf hatte seine Entscheidung getroffen. Er warf einen Blick zu Wilhelm Löwenström. Sie würden so bald wie möglich über die Einzelheiten ihrer Absprache reden.
Nach dem Abendessen versammelten sich die Frauen in einem der Salons, wo Kaffee, Tee und Süßigkeiten serviert wurden, während die Männer sich zu Zigarren und Cognac in den Rauchsalon des Landeshauptmanns zurückzogen.
«Herr Hammerstaal scheint ja ein interessanter Mann zu sein», sagte Leonite von Wöhler eifrig zu Karin, die neben ihr auf dem roten Sofa saß. Beatrice setzte sich in einen Rokokostuhl zu den beiden. Leonite nahm sich ein Stück Konfekt aus der großen Silberschale und ignorierte Beatrice völlig. Karin goss Tee in die dünnen chinesischen Tassen.
«Er ist sehr beschäftigt. Ein äußerst gefragter Mann», antwortete sie und reichte Beatrice eine Tasse.
Leonite beugte sich interessiert vor. «Wirklich?»
«Ja», Karin nickte. Sie reichte die Silberschale mit den Süßigkeiten herum, und Beatrice nahm sich eine Praline mit kandierten Rosenblättern.
«Ist er bei Hofe? Papa hat noch nie von ihm gesprochen», sagte Leonite.
Karin schüttelte den Kopf. «Seth fühlt sich am Hof nicht wohl», erklärte sie. «Er geht seine eigenen Wege. Doch es heißt, dass Seine Majestät von seinen Kenntnissen und Erfahrungen sehr beeindruckt ist.»
Beatrice musste über Karins stolzen Ton lächeln, doch Leonite runzelte die Stirn. Offenbar wollte ihr nicht in den Kopf, wie jemand sich nicht für das höfische Leben interessieren konnte. Beatrice unterdrückte ein Lachen und nahm einen Schluck von ihrem heißen Tee. Karin wandte sich an Sofia, die sich ebenfalls zu ihnen gesetzt hatte. Sie saß sehr aufrecht, und ihre Augen strahlten.
«Würdest du wohl etwas für uns singen?», bat Karin.
«Sehr gern», antwortete Sofia.
Als sich die Männer wieder den Frauen anschlossen, hielt Seth als Erstes nach Beatrice Ausschau. Sie stand auf der anderen Seite des Raumes, und er wollte gerade zu ihr gehen, als Leonite ihm zurief, dass sie ihm einen Platz auf dem Sofa freigehalten habe. Einladend klopfte die Deutsche mit dem Fächer auf das Polster neben sich, und er musste sich wohl oder übel zu ihr setzen, während man Stühle für die Gesangseinlage zusammenstellte. Doch Seths Blicke wanderten die ganze Zeit zu Beatrice hinüber. Ihr rotes Haar war zu einer komplizierten Frisur aufgetürmt und zog das Licht geradezu auf sich. Sie saß auf einem Stuhl in der hinteren Reihe und schien ganz in Gedanken versunken. Als ihre Cousine begann, ein romantisches Lied zum Besten zu geben, lächelte sie leise. Seth dachte nicht weiter über seine Motive nach, als er sich bei seiner Nachbarin entschuldigte und aufstand. Leonite
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