Ein unmoralischer Handel
regelmäßig schaffte, sie aus der Fassung zu bringen, war er.
Und das, das vor allem, erklärte, warum die Gräfin sich zum Portikus von St. George aufgemacht hatte. Obwohl sie nicht wusste, was in seinem Kopf vorging, und sie demnach auch nicht sicher sein konnte, dass er ihr seine Hilfe nicht doch angeboten hätte, konnte sie sich gut vorstellen, dass sein Instinkt ihn zwar dazu gedrängt hätte, ihr zu Hilfe zu eilen, seine übliche Reaktion auf sie jedoch alles wieder zunichte gemacht hätte. In ihrem Auftrag Nachforschungen über die Central East Africa Gold Company anzustellen würde bedeuten, sie häufig zu treffen, und zwar meist allein, was die gegenseitige Abneigung in der Regel noch verstärkte. Erst vor ein paar Monaten hatten sie einander kurz gesehen - ihre Abneigung war schlimmer denn je gewesen. Sie hatten weniger als drei Minuten gebraucht, um einander bis aufs Blut zu reizen. Sie hielt es für höchst unwahrscheinlich, dass er, nur um ihr zu helfen, seine jahrelange Gewohnheit aufgeben und bereitwillig Stunden in ihrer Gesellschaft verbringen würde - oder wenn doch, dass es sie beide nicht innerhalb kürzester Frist in den Wahnsinn treiben würde.
Vor allem hatte sie auf keinen Fall das Risiko eingehen können, das genauer herauszufinden. Hätte sie ihm ohne Verstellung ihr Problem geschildert, nur damit er sie an Mr Montague verwies, dann hätte sie nicht noch einmal als Gräfin auftreten können.
Sie hatte keine Wahl gehabt.
Wenn er je herausfand, dass sie in Wirklichkeit die Gräfin war, würde er ihr das nie verzeihen. Wahrscheinlich würde es noch schlimmer kommen. Doch sie hatte keine Wahl - ihr Gewissen plagte sie nicht, jedenfalls nicht ernsthaft. Hätte irgendeine andere, sichere Möglichkeit bestanden, ihn zu seiner Hilfe zu bewegen, ohne ihn zu hintergehen, sie hätte sie ergriffen, aber …
Sie war schon beinahe eingeschlafen, da glitten ihre Gedanken zu den einzelnen Szenen des Rendezvous zurück und begannen, immer mehr um diesen beunruhigenden Kuss zu kreisen. Sie schreckte noch einmal hoch. Mit weit aufgerissenen Augen blinzelte sie zum Himmelbett hinauf - und fragte sich, warum ihre jahrzehntelange Abneigung in dieser Nacht ihr Haupt nicht erhoben hatte.
2
A la- the -aaa, huuuhu! Allie! Würdest du mir bitte die Butter reichen?«
Alathea konzentrierte sich - Alice deutete über den Frühstückstisch hinweg. Gedankenverloren blickte sie in diese Richtung, bis ihr Geist langsam in die Wirklichkeit zurückfand. Sie nahm die Butterdose und reichte sie hinüber.
»Du scheinst ziemlich zerstreut heute Morgen«, bemerkte Serena, die am Kopf des Tisches neben ihr saß.
Alathea machte eine abwertende Handbewegung. »Ich habe letzte Nacht kein Auge zugetan.« Sie war vor ihrem Auftritt als Gräfin so aufgeregt gewesen, so verzweifelt darauf bedacht, sich Ruperts Unterstützung zu sichern, dass sie vor ihrer Verabredung um drei Uhr morgens überhaupt nicht geruht hatte. Und danach … nach ihrem Erfolg, nach diesem Kuss, nachdem ihr klar geworden war … Sie schüttelte diese verwirrenden Gedanken ab. »Ich habe mich noch nicht an all die Geräusche von der Straße gewöhnt.«
»Vielleicht solltest du ein anderes Zimmer beziehen?«
Mit einem Blick auf Serenas süßes Gesicht unter der vor Besorgnis gefurchten Stirn tätschelte Alathea ihrer Stiefmutter die Hand. »Sorge dich nicht um mich. Ich fühle mich absolut wohl in meinem Zimmer. Es geht ja nach hinten hinaus.«
Serenas Miene hellte sich auf. »Na dann, wenn du dir sicher bist. Aber jetzt, da Alice dich ja nun einmal aufgeweckt hat«, sie zwinkerte mit den Augen, »wüsste ich gern, wie viel wir für die Tageskleider der Mädchen ausgeben dürfen.«
Alathea schenkte Serena gern ihre Aufmerksamkeit. Klein, mollig und auf elegante Weise mütterlich, war Serena eine freundliche und zurückhaltende Frau. Was jedoch das Debüt ihrer beiden Töchter anging, so hatte sie sich bisher ebenso scharfsinnig wie energisch gezeigt. Von Herzen erleichtert hatte Alathea Serena alle Details ihres Gesellschaftslebens überlassen, was auch Fragen nach der jeweils angemessenen Garderobe mit einschloss, und Serena war überglücklich, in diesem Bereich eine tragende Rolle zu spielen. Sie weilten jetzt bereits seit über einer Woche in der Stadt, und alles deutete auf eine rundum erfreuliche Ballsaison hin.
Alathea musste nur beweisen, dass hinter der Central East Africa Gold Company ein Betrug steckte, und alles würde gut werden.
Der
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