Ein unmoralischer Handel
Ahnung, warum das eine Rolle spielen sollte, wenn Sie mich fragen.«
Alathea spürte das vertraute Ziepen, als Nellie begann, ihr das Haar zu flechten. »Lassen wir es einfach dabei bewenden, dass ich es zwar mit betrügerischen Handelsgesellschaften und unmittelbar bevorstehenden Katastrophen aufnehmen, Mitleid aber einfach nicht ertragen kann.«
Sein Mitleid.
Nellie seufzte. »Na ja, dann soll es wohl so sein …«
Alathea fühlte ihr fatalistisches Schulterzucken. Einen Augenblick später fragte Nellie: »Aber wie haben Sie es hinbekommen, dass er zugestimmt hat, ohne dass Sie ihm die ganze Geschichte erzählt haben - dass diese Familie am Ende ist, wenn diese widerliche Gesellschaft ihr Geld verlangt?«
»Das«, Alathea schlug die Augen auf, »war doch das Wichtigste an meiner ganzen Maskerade. Ich habe es ihm gesagt. Alles. Ich konnte doch kaum von ihm erwarten, dass er uns zu Hilfe eilt, ohne die Details zu kennen; und er hätte es ganz bestimmt nicht getan, wenn es da nicht eine reale Familie und eine reale Bedrohung gäbe. Es war noch nie leicht, ihn zum Handeln zu bewegen, aber er ist ein Cynster, und die reagieren zuverlässig auf bestimmte Reize. Er musste davon überzeugt werden, dass beides existiert, die Familie und die Bedrohung, aber so wie ich ihm die Sache geschildert habe, war es die Familie der Gräfin. Meinen Vater habe ich als meinen verstorbenen Mann ausgegeben und behauptet, ich sei seine zweite Frau und alle Kinder seien meine Stiefkinder, nicht meine Stiefschwestern und Stiefbrüder. Serena habe ich als meine Cousine ausgegeben.«
Sie machte eine Pause, hing ihren Erinnerungen nach.
»Was ist passiert?«
Alathea blickte auf und sah in Nellies besorgtes Gesicht.
»Es hat keinen Sinn, mir weismachen zu wollen, dass nichts schief gegangen ist. Ich kenne diesen Gesichtsausdruck.«
»Nichts ist schief gegangen.« Sie würde Nellie auf keinen Fall von diesem Kuss erzählen. »Ich hatte nur nicht darüber nachgedacht, wie die Kinder heißen sollten. Ich habe Charles für Charlie genommen - das ist immerhin ein ziemlich gebräuchlicher Name -, aber ich hatte nicht erwartet, dass Rupert auch nach den anderen fragen würde. Als er es dann doch getan hat - nun, da war ich so tief in meine Rolle als Gräfin verstrickt, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich musste ihnen in demselben Augenblick Namen geben, in dem ich an sie dachte, sonst hätte er Verdacht geschöpft.«
Nellie ließ den mittlerweile vollendeten Zopf aus und starrte sie an. »Sie haben sie doch wohl nicht etwa bei ihren richtigen Namen genannt?«
Alathea erhob sich und verließ den Frisiertisch: »Nicht ganz.«
Nellie, die gerade dabei war, die Bänder ihres Kleides zu lösen, hielt inne. »Und wie haben Sie sie genannt?«
»Maria, Alicia und Seraphina. Die anderen habe ich nicht erwähnt.«
»Und was passiert, wenn er zufällig wo hinkommt, wo so ein Buch herumliegt, in dem die ganze feine Gesellschaft aufgelistet ist? Da braucht er nur bei den Grafen nachzuschauen - wo Sie sich doch als Gräfin ausgegeben haben - und es wird ihm wie Schuppen von den Augen fallen. Und er wird auch sofort wissen, wer Sie sind.« Nellie richtete sich auf und half ihr aus dem Kleid. »Dann möcht’ ich nicht in Ihrer Haut stecken, Miss - nicht, wenn er das rausfindet. Das wird ihm gar nicht gefallen.«
»Ich weiß.« Alathea schauderte und betete, dass Nellie es der Kälte zuschrieb. Sie wusste ganz genau, was geschehen würde, wenn sich das Glück gegen sie wandte und Rupert Melrose Cynster entdeckte, dass sie die geheimnisvolle Gräfin war - dass sie die Frau war, die er im Portikus von St. George geküsst hatte.
Die Hölle würde über sie hereinbrechen.
Geduld zählte eindeutig nicht zu seinen Stärken - und zu den ihren ebenso wenig.
Was nicht heißen sollte, dass man stets den Eindruck hatte, als wäre er ungeduldig - jedenfalls nicht, solange er die Geduld nicht verlor.
»Das ist auch der Grund«, fuhr sie fort, als ihr Kopf wieder aus dem Nachtgewand hervorkam, das Nellie ihr übergestreift hatte, »weshalb ich ihn habe schwören lassen, dass er nicht versuchen solle, meine Identität herauszufinden. Wenn mein Plan aufgeht, wird er die Wahrheit nie erfahren.«
Sie wusste, es würde ihm nicht gefallen, dass ihm die Augen derart verbunden waren. Er hegte eine tiefe, aufrichtige Abneigung gegen jegliche Form von Betrug. Das, so vermutete sie, war auch der Grund für seinen Erfolg bei der Aufdeckung betrügerischer
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