Ein unmoralisches Sonderangebot - Gier, K: Unmoralisches Sonderangebot
Marmorkuchen, den meine Schwiegermutter immer gebacken hatte. Sehr, sehr krümelig und leider absolut geschmacklos. Man hatte ihn nur mit viel Kaffee herunterspülen können, diesen Marmorkuchen. Manchmal vermisste ich ihn irgendwie trotzdem. Seit meine Schwiegermutter gestorben war, kaufte mein Schwiegervater nämlich den Kuchen immer beim Konditor. Sahnetorte vom Vorvortag gab es dort zum halben Preis. Mein Schwiegervater kaufte nur Sonderangebote, da war er konsequent. Dabeihatte er es im Gegensatz zu uns wirklich nicht nötig zu sparen, der alte Geizkragen.
»Olli?! Bist du vor dem Kleiderschrank eingeschlafen?«, schrie Stephan von unten.
»Ich suche nur was zum Anziehen«, wiederholte ich. Bröckel, bröckel.
»Herrgott, das ist nur ein Frühstück mit der Familie, kein Galadinner«, rief Stephan. »Zieh einfach irgendwas an!«
Das war leichter gesagt als getan. Ich gab mir wirklich Mühe, etwas zu finden, aber es war nun mal zu warm für den braunen Wollpullover mit Fellkragen und zu kalt für das himbeerfarbene Spaghettiträgerkleid. In grauen Jogginghosen konnte ich wohl ebenso wenig bei meinem Schwiegervater auftauchen wie in meinem perlenbestickten Brautkleid, das samt Reifrock unter einer Plastikhülle hing und mich irgendwie melancholisch stimmte. Der Rest der Klamotten gehörte in die Altkleidersammlung oder in die Karnevalskiste. Ich beschloss, mich in allernächster Zukunft ans Aussortieren zu machen. Am besten gleich morgen früh. Die Zeit, die ich vor dem Kleiderschrank verbrachte, konnte ich doch viel besser nutzen – zum Beispiel, um eine Fremdsprache zu lernen. Ich versuchte nachzurechnen, wie weit ich mittlerweile gekommen wäre, wenn ich, statt vor dem Kleiderschrank herumzustehen, Italienisch-Vokabeln gelernt hätte. Incredibile!
»Olli!«, schrie Stephan von unten. »Ich zähle jetzt bis zehn, und wenn du bis dahin deinen Hintern nicht zum Auto bewegt hast, reiche ich gleich morgen die Scheidung ein. Eins …«
Meine Frau findet nie was zum Anziehen – war das einzugelassener Scheidungsgrund? »Komm doch hoch, und sieh selbst nach, wenn du mir nicht glaubst!«
»Drei, vier …«
Ich öffnete hektisch die Kommodenschublade, um wenigstens schon mal die Unterwäsche anzuziehen. Da war mein schwarzes Lieblingshöschen, aber wo war der dazu passende BH?
»Fünf, sechs …«
»Nicht so schnell!«
»Sieben, acht – ich mein’s ernst, Olli. Wenn ich die Zeit, die ich auf dich gewartet habe, zusammenrechne, dann sind das bestimmt Jahre meines Lebens! Du bist so was von lahmarschig, das hält kein Mensch aus!«
Lahmarschig! So etwas durfte man mir aber nicht ungestraft nachsagen. Ich zerrte ein Oberteil und eine Jeans aus dem Schrank und schlüpfte in Rekordzeit hinein. Wenn es irgendetwas gab, was ich nicht war, dann lahmarschig!
»Neuneinhalb, zehn!«, rief Stephan, als ich die Treppe heruntergerast kam und triumphierend vor ihm stehen blieb.
»Ich bin nicht lahmarschig«, keuchte ich, während ich mir mit einiger Mühe die Hose zuknöpfte. »Nimm es also zurück.«
Stephan sah mich mit offenem Mund an. Aber selbst wenn er so blöd guckte wie jetzt, war er immer noch der allerschönste Mann auf Erden. Mit seinen blonden, kurz geschnittenen Locken und der leicht gebräunten Haut sah er aus wie ein Brad-Pitt-Double. Und da war dieses gewisse Etwas in seinem Blick und in jeder seiner Gesten, das ihn einfach unwiderstehlich machte. Es gab nicht ein einziges Mädchen im ganzen Kreisgebiet, dasnicht irgendwann mal scharf auf ihn gewesen wäre. Und erst die Mädchen an der Uni! Er hätte wirklich jede haben können. (Und soviel ich wusste, hatte er wohl nur wenige Angebote ausgeschlagen. Aber das war vor meiner Zeit.) Ich war immer noch beinahe täglich erstaunt und dankbar darüber, dass er ausgerechnet mich geheiratet hatte. Mich, die kleine, unspektakuläre Olivia, die nicht mal ihren Kleiderschrank in Ordnung halten konnte. Ich hatte noch nie etwas im Leben so sehr gewollt wie diesen Mann. Den Rat meiner Pflegemutter – »Von einem schönen Teller isst man nicht« – hatte ich bedenkenlos in den Wind geschlagen. Es war nur eine Schande, dass ich so wenig Ähnlichkeit mit Jennifer Aniston hatte. Ich sah mehr aus wie – nun, wenn ich’s mir recht überlegte, sah ich keiner berühmten Persönlichkeit irgendwie ähnlich. Es gab allerdings Tage, an denen ich aussah wie ein Blumenkohl. Das lag an meinen hellblonden Naturlocken, um die mich eigenartigerweise manche Menschen
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