Ein unsittliches Angebot (German Edition)
beauftrage ich jemand anderen.«
»Wir können. Ich kann.« Was sagte sie da? Sie hatte noch nie im Leben ein Lagerfeuer gemacht.
»Danke, Mrs Russell«, erwiderte er, erschöpft und dankbar, und verschwand im Haus.
Aber wo sollte sie anfangen? Irgendwo in Windrichtung, und weit genug vom Haus entfernt, sodass keine Funken das Dachstroh in Brand stecken konnten. Sie brauchte Feuerholz und eine Zunderbüchse oder irgendein anderes Gerät, um ein Feuer in Gang zu bringen. Wenn sie Glück hatte, würde Mrs Weaver Mitleid mit ihr haben und ihr helfen. Wenn nicht, würde sie allein zurechtkommen, wie sie es immer –
Eine Bewegung im Türrahmen riss sie aus ihren Gedanken, und dann blieb sie wie angewurzelt stehen und dachte gar nichts mehr.
Mr Mirkwood mit einem Kranken in den Armen. Mit diesem Anblick hatte sie gerechnet. Aber damit zu rechnen und es zu sehen, waren zwei völlig verschiedene Dinge. Die Erwartung bereitete einen nicht auf die Einzelheiten vor. Auf das aschfahle Gesicht des alten Mannes. Auf seine Arme, die schlaff wie bei einem Baby auf seiner Brust lagen. Auf das traurige Geflatter seines Nachthemds. Auf die entsetzliche Leichtigkeit, mit der der jüngere Mann ihn trug. So, als wäre er nur ein Säckchen Knochen.
So hatte Vater in den letzten Monaten ausgesehen. Obwohl er zwanzig Jahre jünger gewesen sein musste, war er genauso abgemagert gewesen. Und genauso fahl. Vielleicht hatte Mr Russell ähnlich ausgesehen; vielleicht hatten seine Glieder auch so herabgehangen, als man ihn gefunden und seinen gebrochenen Körper aufgehoben hatte.
Etwas … zerbrach in ihr, donnernd wie ein Eisschelf im Frühlingstau. Sie sog erschaudernd die Luft ein und spürte, wie ihr Tränen die Wangen hinabrannen.
Mr Mirkwood stolperte einen halben Schritt vorwärts. »Martha.« Oh, er klang, als hielte jemand seine Eingeweide in der geballten Faust! Und er machte einen entsetzlichen Fehler, indem er ihren Vornamen benutzte. Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Wangen und wandte das Gesicht ab.
»Das wird schon wieder.« Eine unerwartete Hand auf ihrer Schulter. »Das ist bloß der Schock, der sie eingeholt hat, und der Schreck bei dem Anblick.« Eine unerwartet beruhigende, stärkende Stimme. »Gehen Sie. Ich helfe ihr mit dem Feuer. Das wird schon wieder.«
Sie wagte einen verstohlenen Blick. Er nickte Mrs Weaver zu und errötete – zu spät hatte er seinen Fehler bemerkt – und schritt mit seiner Last davon.
Herr im Himmel! Was sollte sie jetzt sagen? »Es tut mir leid.« Sie presste sich beide Fäuste auf die Augen. »Es war der Schreck bei seinem Anblick, wie Sie sagen, und dann hat er mich an meinen Vater erinnert, bevor er starb.«
»Das geht vorbei.« Die Hand verschwand von ihrer Schulter. »Ich sehe nach, was wir an Feuerholz haben.«
»Mrs Weaver.« Was um Himmels willen tat sie? Sie sah die Worte, die sie sagen würde, vor sich wie Steine, die einen steilen Hang hinunterkullerten, weiter und weiter fort aus ihrer Reichweite, während sie ihnen hinterherlief. »Ich weiß, was Ihnen in Seton Park zugestoßen ist. Was Ihnen angetan worden ist. Was Mr James Russell Ihnen angetan hat.« Unter Riesenanstrengung zwang sie ihr Gesicht herum und ließ die Fäuste sinken.
Mrs Weaver stand steif und ausdruckslos da. Sie schwieg. »Es tut mir so leid, so leid.«
»Es hat nichts mit Ihnen zu tun.« Ihr Blick floh zu dem Pferch, wo das Schwein soeben seine Mahlzeit beendet hatte und sich jetzt am Zaun den Rücken schubberte.
»Ich gedenke, Sie eines Tages dafür zu entschädigen. Und Mr James Russell daran zu hindern, jemals Seton Park zu erben und in diese Gegend zu kommen. Ich werde alles tun, was notwendig ist, um das zu verhindern.«
Mrs Weaver starrte jetzt durch das Schwein hindurch; ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und ihre Mundwinkel zuckten, während sie über Marthas Worte nachsann. Oder vermutlich, während sie sich an Szenen aus den vergangenen sechzehn Jahren erinnerte. »Was Sie tun, geht mich nichts an«, sagte sie schließlich. »Und was die Entschädigung betrifft, so wüsste ich nicht, wie sie aussehen sollte. Wir sollten besser das Feuer machen.«
Sie erwähnten das Thema nicht mehr, sondern arbeiteten in zügigem Einklang, schichteten das Feuer auf und zerrten jedes trostlose Zeugnis von Mr Barrows Krankheit aus dem Haus. Nach einer Stunde oder sechs – sie konnte sich nicht erinnern, jemals so erschöpft gewesen zu sein – kehrte Mr Mirkwood zurück, noch zerzauster als
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