Ein unsittliches Angebot (German Edition)
stand er in der Tür, blass, aber entschlossen. »Er braucht einen Arzt. Ich weiß nicht, wo ich einen herkriegen soll.«
»Ich weiß es.« Endlich konnte sie etwas tun! »Ich weiß, wo ich mehr als einen finden kann.«
»Gut. Lauf und finde einen Jungen. Er soll zum Stall laufen und jemanden zu Pferde nach einem Arzt schicken, so schnell wie möglich.« Er hielt inne, um Luft zu holen, und sie sah, was es ihn kostete, Ruhe zu bewahren. »Wenn einer von den Kätnern Cider oder schwaches Bier hat, das brauchen wir. Sag dem Jungen, dass er es herschicken lassen soll.«
»Soll er dem Arzt ausrichten, dass du ihn bezahlen wirst? Manchmal kommen sie nicht zu den Armen.«
Er fluchte und legte die Faust an die Stirn, halb abgewandt. »Lass den Arzt zu meinem Haus kommen. Dann kann kein Zweifel bestehen. Ich bringe Mr Barrow dorthin. Er muss sowieso aus dem Zimmer raus.«
»Ich sage dem Jungen, dass man dir einen Wagen schicken soll.« Sie wollte los.
»Nein.« Seine Stimme riss sie zurück wie ein harter Zügelzug ein Pferd. »Ich will nicht, dass er durchgeschüttelt wird. Ich trage ihn. Ich wasche ihn, so gut es geht, und trage ihn.«
Bis du wahnsinnig? Das ist fast eine Meile! Sie sagte die Worte nur zu sich selbst, während sie bereits rannte. Sie rannte, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war, die Röcke mit beiden Händen gerafft, die Stiefel hart auf dem unebenen Boden. Sie fand einen Jungen, einen Burschen von vielleicht zwölf Jahren, und gab ihm ihre Anweisungen: Getränk und Arzt. Als er mit der begnadeten Flinkheit eines Jungen davongestoben war, eilte sie zurück zu Mr Barrows Kate. In den Seiten stach sie der Schmerz der Anstrengung.
Mr Mirkwood blieb unnachgiebig und ließ sie nicht hinein. »Er würde nicht wollen, dass eine Dame ihn so sieht«, sagte er, und damit hatte sich die Sache. Aber wenigstens konnte sie sich um die Tiere kümmern. Die armen hungrigen, winselnden Geschöpfe. Vielleicht könnte sie im Garten ein bisschen Gemüse ernten, und vielleicht würde sie in der Küche einen Kanten Brot finden, den sie zerkrümeln und den Gänsen geben konnte. Zuerst aber Wasser. Hinter dem Haus gab es einen Eimer, und Mr Mirkwood konnte ihr beschreiben, wo der Bach entlangfloss. Wasser, Gemüse, Brot. Einen Plan aufzustellen, wenn auch nur einen ganz kleinen, und dann auszuführen, hatte wie üblich eine stärkende Wirkung. Sie würde die Krise überwinden, eine Aufgabe nach der anderen.
Offenbar würde Mrs Weaver ihr dabei helfen, denn als Martha das Wasser herbeischleppte, stand sie da und verteilte bereits Brotkrümel an die Gänse. »Im Haus könnte ich mehr ausrichten«, sagte sie anstelle eines Grußes. »Garantiert weiß er nicht das Geringste über ein Krankenlager, aber er hat mir den Cider weggenommen und darauf bestanden, dass ich draußen bleibe.«
Was für ein Augenblick, um endlich einen Funken Kameradschaft zu finden. »Zu mir hat er dasselbe gesagt. Als ob Anstand in einem solchen Moment eine Rolle spielen würde. Können Sie die Gänse zurückhalten, während ich ihnen das Wasser eingieße?«
Die gemeinsame Anstrengung war tröstlich. Sie gaben den Gänsen und dem Schwein Wasser und warfen die schlechtesten Früchte im Garten in den Trog, bis Mr Mirkwood in der Tür erschien. »Ich habe ihm ein sauberes Nachthemd angezogen und bringe ihn jetzt zum Haus.« Sein Hut fehlte, und sein Haar stand etwas ab, so als habe er es nervös mit den Fingern durchkämmt. »Ich glaube, wir müssen die gesamte Bettwäsche und die Matratze verbrennen und alle Fenster öffnen, die aufgehen. Gibt es genug Feuerholz?«
Mrs Weaver schüttelte den Kopf. »Besser wär’s, die Sachen zu waschen. Ich sehe sie durch und schaue, was gerettet werden kann.«
»Nein.« Sein Blick war der eines Fremden, resolut und furchteinflößend. »Verbrennt sie. Verbrennt sie alle.«
»Ich glaube nicht, dass er mehr als einen Satz Bettwäsche besitzt.« Ob resolut oder furchteinflößend – Mrs Weaver ließ sich nicht einschüchtern. »Ich weiß mit Sicherheit, dass er keine zweite Matratze hat. Wo soll er denn schlafen, wenn wir alles verbrennen?«
Sein Gesicht verzog sich. »Ich bringe ihm eine verdammte Matratze aus meinem eigenen verdammten Haus!« Er lehnte einen Unterarm gegen den Türrahmen und seine Stirn gegen den Arm. Sie erkannte die Pose von jenem scheußlichen Tag, an dem er sie eine Leiche genannt hatte. »Bitte verbrennen Sie einfach alles. Oder sagen Sie es mir, wenn Sie es nicht können, dann
Weitere Kostenlose Bücher