Ein unsittliches Angebot (German Edition)
es fertig hat, wenn er nach Hause kommt.« Diese Erklärung klang ganz vernünftig. Dennoch legte er die Hand um den Türknauf und drehte.
Aus der Türöffnung drang ein so überwältigender Gestank, dass er zurückwich und sich eine Hand über Mund und Nase legte. Die Witwe keuchte neben ihm, und sein Arm schnellte eigenmächtig vor sie wie eine Eisenstange und hielt sie zurück. Gott. Die Tiere. Wie lange waren sie wohl schon nicht mehr gefüttert worden? »Versorg das Vieh«, sagte er mit einer Stimme, die sie nicht wiedererkannte.
»Später, um Himmels willen! Wir müssen da rein und herausfinden –«
»Nein!« Sie erschrak über seinen Tonfall, und das wäre er sicher selbst, hätte er sich durch das Blut, das jetzt in seinen Ohren pochte, hören können. » Ich gehe. Warte hier.«
Sie nickte und verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust. Blass und starr trat sie zur Seite und ließ ihn durch.
Während der sechs Schritte, die ihn durch die Küche zur Schlafzimmertür brachten, atmete er durch den Mund und ersparte sich den Gestank, schmeckte die widerliche Luft aber dennoch. Er war noch nie dem Tod begegnet. Hatte noch nie dessen Geruch eingeatmet. Vielleicht – der Gedanke hielt dem Nebel der Panik stand – vielleicht war es nicht dieser Geruch. Irgendein entlegener Teil seines Gehirns begann, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen. Mehrere Gerüche, faulige Krankenzimmer-Gerüche, waren hier verwoben.
Er trat ins Schlafzimmer. Mr Barrow lag regungslos da, ein zusammengeschrumpeltes Häufchen Unrat auf einem besudelten Laken. Theo blickte instinktiv weg. Welcher Mann würde schon gern in diesem Zustand gesehen werden. Doch sofort zwang er seine Augen, wieder hinzusehen, da Mr Barrow vielleicht für immer jenseits solcher Überlegungen war. Er trat ans Bett.
Er hatte gelitten. Mr Barrow hatte auf jede erdenkliche Weise gelitten. Offenbar war er zu schwach gewesen, um den Nachttopf zu erreichen. Gütige Mutter Gottes, wie lange lag er wohl schon hier, unvermisst und unversorgt? Hatte denn kein Feldarbeiter seine Abwesenheit bemerkt und nach ihm gesehen?
Eine zitternde Hand legte sich an den altersschwachen Hals, befühlte die pergamentartige Haut nach einem Puls, und … ja. Kein Zweifel. Abrupt taumelte er gegen die Wand, lehnte sich an und beugte sich dann vor, die Hände auf die Knie gestützt. Die Erleichterung hatte ihr eigenes Gewicht, so überwältigend wie die Sorge, doch unendlich willkommener.
»Theo?« Sie klang auch nicht wie sie selbst, jetzt, wo er darauf achtete. Ängstlich. Zaghaft. Schwach. Alles, was die Witwe nicht war.
»Bleib, wo du bist«, rief er. »Es ist nicht das Schlimmste – jedenfalls noch nicht. Aber komm nicht herein!«
Mr Barrow regte sich bei dem Geräusch seiner Stimme. Theo kniete sich an die Bettkante. Die Lippen des alten Mannes bewegten sich, bewegten sich wieder, und beim dritten Mal konnte er endlich das Wort ausmachen: Wasser .
Um Gottes willen, natürlich! Der Mann brauchte etwas zu trinken. Wie konnte er nur so dumm sein, nicht von selbst darauf gekommen zu sein? Drei Mal hatte er es ihm sagen müssen! Er sprang auf und eilte in die Küche. Wo bewahrte ein Kätner sein Bier auf? War Bier ungefährlich, in seinem Zustand? Vielleicht wäre Cider bekömmlicher, so geschwächt, wie er war. Das wusste der Teufel.
Aber die Frage erübrigte sich. Es gab überhaupt keine Flasche von irgendwas in der Speisekammer, und in der Küche fand er nur einen leeren Krug. Er würde Wasser aus dem Bach holen, und dann … würde er es abkochen oder so, damit man es trinken konnte. Das machten die Leute mit Tee, oder nicht? Ja. Das musste er tun.
Kein Feuer im Ofen. Er würde eines machen müssen. Gott. Er musste Feuer machen, zum Bach laufen, Wasser holen, ein Gefäß finden, in dem er es kochen konnte, und wie lange würde es brauchen, bis es kochte, und wie lange danach, bis es weit genug abgekühlt war? Vermutlich musste er es auch filtern, aber womit? Verzweiflung überkam ihn, er stellte den Krug ab und legte sich die Hand an die Stirn.
Nein. Das konnte er vergessen. Er würde einen Arzt holen. Zum Teufel mit ihm, warum hatte er auch nur eine Sekunde mit dem Wasser vergeudet, anstatt sofort einen Arzt zu holen? Verflucht sei seine nutzlose, unbrauchbare Seele. Er war dieser Sache in jeder Hinsicht nicht gewachsen.
»Theo!« Je länger er da drinnen blieb, desto enger schnürte ihr die Panik die Kehle zu. »Bitte sag mir, wie ich helfen kann!«
Und plötzlich
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