Ein unversoehnliches Herz
Augen.
»Alfred Petrén ist Oberinspektor für die Pflege Geisteskranker in Schweden«, erläuterte er. »Hier steht, dass du seinen Beobachtungen nach in einer Nervenheilanstalt behandelt werden musst. Die Sache ist mit anderen Worten ziemlich ernst.«
Es entstand eine längere Pause.
»Hörst du mir zu?«
Sören Christer nestelte an seinen Fingernägeln herum, gab aber keine Antwort. Dann nickte er, ohne aufzuschauen.
»Sitz gerade, Sören Christer.«
Er drückte das Kreuz durch, blickte jedoch weiterhin nicht auf.
»Ich denke, wir machen jetzt Folgendes«, fuhr Andreas fort und pochte mit dem Zeigefinger auf den Blätterstapel. »Wir gehen das Gutachten Punkt für Punkt durch, damit du die Chance hast, deine Meinung zu dem zu sagen, was hier geschrieben steht.«
»Das spielt ja doch keine Rolle.«
»Spielt keine Rolle? Natürlich spielt es eine Rolle, immerhin geht es um deine Zukunft.«
»Aber ihr habt euch doch schon entschieden.«
»Das haben wir ganz und gar nicht.«
Als wollte er sich so beruhigen, atmete Andreas tief durch. Sören Christer sah ihn verstohlen an und bemerkte, dass die Nasenlöcher jetzt noch größer waren als zuvor. Er senkte den Blick. Andreas lehnte sich zurück und fragte mit einem gewissen Biss in der Stimme: »Dann erzähl mal, was haben wir denn entschieden?«
»Dass ihr mich in die Nervenheilanstalt schicken wollt. Das hast du doch gerade gesagt. Das wird bestimmt ganz toll, und dir und Mutter bleibt es erspart, mich zu sehen. So wollt ihr es doch haben.«
»Mach dich nicht lächerlich. Es ist ja wohl klar, dass wir nicht … wir wollen nur das Beste für dich.«
Andreas verstummte abrupt, als überlegte er, noch einmal von vorn anzufangen. Sören Christer saß steif auf seinem Stuhl und biss sich auf die Unterlippe. Er achtete sorgsam darauf, nicht wieder in sich zusammenzusacken, begann aber unwillkürlich, ein wenig auf dem Stuhl zu wippen. Andreas wies ihn an, still zu sitzen. Anschließend zeigte er auf die Blätter, die er mittlerweile auf dem ganzen Schreibtisch verteilt hatte, griff nach der ersten Seite und begann, mit eintöniger Stimme zu lesen.
»Hier steht, dass dein Gefühlsleben Defekte aufweist und du ohne wahre Zuneigung für deine Familie oder andere Menschen bist. Weiterhin, dass du während deiner Jahre in Rom bei verschiedenen Lehrerinnen Einzelunterricht hattest, die alle wegen deiner permanenten Widerspenstigkeit aufgaben. Als deine Schullaufbahn in Stockholm fortgesetzt wurde, war es dort das Gleiche.«
Andreas legte die Blätter wieder weg und lehnte sich vor.
»Hörst du mir zu?«
Sören Christer zuckte mit den Schultern.
»Wenn dir das alles egal ist, können wir genauso gut machen, was Doktor Petrén für richtig hält. Tja, mit anderen Worten, dich einsperren.«
»Vater, ich habe dir doch schon erzählt, wie schlecht die Lehrerinnen in Italien waren. Außerdem haben sie nach Knoblauch gestunken. Und sie hatten keine Ahnung. Aber sie haben die Schuld immer auf mich geschoben.«
»Haben die in Schweden auch nach Knoblauch gestunken?«
»Nein … aber sie …«
»Das haben sie also nicht.«
»Aber Vater, könnte ich nicht bei Mutter wohnen?«
»Du weißt genau, dass das nicht geht. Sie hat inzwischen eine neue Familie.«
»Und hier, in Dorpat, bei dir und Madeleine?«
»Sören Christer, warum fragst du das? Du weißt genau, dass es unmöglich ist. Ich arbeite die ganze Zeit, und Dorpat wäre nicht gut für dich. Außerdem versuchen wir es so einzurichten, dass Madeleines Töchter öfter bei uns wohnen können. Dann ist kein Platz für alle. Das verstehst du doch, oder?«
Sören Christer nickte und senkte den Kopf. Er wusste natürlich, dass Madeleines Töchter kommen würden. Er hatte den Brief gelesen, der letzte Woche gekommen war und auf dem Küchentisch gelegen hatte, als Madeleine mal wieder unterwegs war, um irgendetwas zu erledigen. Schon als er ihn las, war ihm klar gewesen, dass dies für ihn eine schlechte Neuigkeit war.
Andreas stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Er seufzte schwer und setzte sich wieder hinter den Schreibtisch. Sören Christer schaute auf seine Füße. Ab und zu strich er die Haartolle weg, die ihm ein ums andere Mal ins Gesicht fiel.
»Du solltest dir die Haare schneiden lassen.«
Die Antwort bestand aus einem stummen Nicken.
»Ich will nur dein Bestes, das weißt du doch, Sören Christer?«
Ein weiteres stummes Kopfnicken und fortgesetztes Kauen auf der Unterlippe.
Andreas lehnte sich auf
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