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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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vergitterten Fenster zu gelangen, und er würde ihre Schreie hören und sehen, wie sie einer nach dem anderen Feuer fingen. Alles würde zu schwelender Asche niederbrennen und er würde im Garten stehen und helle Freude darüber empfinden, dass dieser grausame Ort für alle Zeiten vom Erdboden getilgt wurde.

Berlin, 14. September 1921
    Amelie betrat das Zimmer, das sie billig gemietet hatte. Es war nach Mitternacht, und sie war müde von der Reise und spürte jeden Knochen im Leib. Sie griff sich an die Brust. Irgendetwas fühlte sich anders an als sonst. Bei jeder kleinsten Anstrengung geriet sie außer Atem, und manchmal kam es ihr so vor, als müsste ihr Herz ums Weiterschlagen kämpfen.
    Sie stellte den Koffer ab und setzte sich aufs Bett. Es war viel zu weich, aber damit musste sie leben. Hätte sie vielleicht doch das Angebot annehmen sollen, bei Bettan zu wohnen? Nein, entschied sie schnell, es war besser, hier alleine zu übernachten, bevor sie nach Rom zurückfuhr.
    Ein paar Wochen Ruhe. Dann musste sie Sören Christer zuliebe nach Ahrweiler zurückkehren. In einem schwachen Moment hatte sie ihm versprochen, ihn innerhalb eines Monats zu besuchen.
    Plötzlich fühlte sie sich wie ein altes Weib. Aber am schlimmsten war, dass ihr immer wieder derselbe Gedanke durch den Kopf ging. Wenn sie doch nur nicht gelogen hätte. Ihr war keine andere Wahl geblieben, sie hatte es Andreas versprochen. Aber trotzdem, sie wusste insgeheim, dass es unverzeihlich war.
    Die ganze Zugfahrt bis Ahrweiler war ihr schicksalsschwer erschienen. Sören Christer wurde es wie immer, wenn er Zug fuhr, schlecht, sodass er sich hinlegen musste. Natürlich machte er sich Sorgen, er wusste ja nicht, was ihn erwartete. Sein siebzehnjähriger Körper zitterte, er war leichenblass. Vor ihrer Abreise war er andererseits wie immer gewesen und hatte um Geld gebeten, um sich Süßigkeiten, einen neuen Anzug und neue Schuhe kaufen zu können. Und wie gewohnt war es ihr schwer gefallen, seine Bitten abzuschlagen.
    Ganz gleich, wie wenig Geld sie hatte, letzten Endes ging sie doch stets auf seine Betteleien ein. Sie wusste, dass er sie um den Finger wickelte und verwöhnt war, dass er immer etwas haben wollte und seine Betteleien kein Ende nahmen, wenn er etwas haben wollte.
    In Berlin hatte Sören Christer ihr vor der Abreise nach Ahrweiler gezeigt, wie abgewetzt sein Anzug an den Ellbogen war. Er hatte sie flehend angesehen und erklärt, so könne er nicht herumlaufen, was sollten die anderen von ihm denken? Sie hatte ihn hingehalten, aber am Ende bekam er natürlich einen neuen Anzug, noch dazu einen viel zu teuren. Der von ihr vorgeschlagene saß in seinen Augen an Taille und Schultern nicht richtig und würde ihm noch schlechter passen, wenn er weiter wuchs. Er hatte stattdessen einen ins Auge gefasst, der mehr als das Doppelte kosten sollte. Aber aus dem wächst du doch auch heraus, hatte sie eingewandt. Daraufhin hatte er ihr demonstriert, dass es genügend Spielraum zum Hineinwachsen gab, obwohl der Anzug auch jetzt schon gut saß. Er brachte den Schneider dazu, ihm beizupflichten, und damit war es beschlossene Sache, sie musste nur noch bezahlen.
    Sören Christer stolzierte aus dem Bekleidungsgeschäft und war wie immer bei solchen Gelegenheiten frohen Mutes. Sie hatten zusammen gelacht, und das war richtig schön gewesen. Aber nur wenige Häuserblocks später wollte er ein Eis haben, als sie an einem kleinen Stand vorbeigingen. Sie hatte Nein gesagt, aber dann war das ganze Theater wieder von vorne losgegangen. Bitte Mutter, ich habe kaum etwas zu Mittag gegessen. Fünf Minuten hatten sie vor dem Stand diskutiert, und obwohl sie fest entschlossen gewesen war, sich durchzusetzen, hatte er am Ende sein Eis bekommen. Sie konnte einfach nicht mehr, die Diskussion hätte zu lange gedauert und wäre vor der anstrengenden Zugfahrt zu mühsam gewesen.
    Wieder einmal hatte sich ihr schlechtes Gewissen geregt, und sie wusste genau, wie schnell er das merkte und daraufhin immer und immer wieder dasselbe Argument vorbrachte, bis er schließlich hatte, was er wollte – und es einige Häuserblocks weiter Zeit für den nächsten Einfall war.
    Glücklicherweise hatte die momentan herrschende Inflation die Deutsche Reichsmark billig gemacht. Trotzdem war es fraglich, ob Andreas und sie sich auf Dauer die achtzig Reichsmark leisten können würden, die der Aufenthalt in Ahrweiler täglich kostete. Sie wurde finanziell immer abhängiger von Oki, aber er

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