Ein unversoehnliches Herz
schnell über Elektrizität zu verfügen, hänge eher mit dem Willen der Ärzte zusammen, alle Neuerungen der Elektroschocktherapie zu testen, als mit dem Wunsch, Annehmlichkeiten für die Patienten zu schaffen. Im Ersten Weltkrieg ruhte der Betrieb, und die Anstalt wurde als Militärkrankenhaus genutzt. Nach Kriegsende geriet die Klinik wie zahlreiche andere Betriebe in Deutschland in eine finanzielle Schieflage, weshalb man dazu überging, Kunden aus anderen Teilen Europas anzulocken, die Vorteile aus der geschwächten deutschen Wirtschaft ziehen konnten.
Das war Carl von Ehrenwalls Klinik in Ahrweiler, Sören Christers neues Zuhause.
Und nun hörte er das Geräusch, das er bereits hassen gelernt hatte. Das Klicken, wenn sie die Tür hinter ihm abschlossen. Sobald er es hörte, war er wie gelähmt und fühlte sich wie ein Tier in einem Käfig. Die Gitter vor dem Fenster waren so lackiert wie jene in der Wohnung seiner Mutter. In Rom sollten sie unwillkommene Gäste fernhalten; hier sollten sie dafür sorgen, dass die Patienten der Anstalt drinnen blieben.
Sören Christer begriff nicht, wie es so weit kommen konnte. So hatte ihm sein Vater die Anstalt wahrlich nicht beschrieben, kein Mensch hatte etwas davon gesagt, dass man ihn abends einschließen würde. Er fand, dass die Klinik eher einem Gefängnis glich. Die Ärzte in ihren weißen Kitteln, die kein Interesse an ihm hatten, weigerten sich, ihm zuzuhören, und fuhren unbeeindruckt fort, mit ihren Greifzirkeln seinen Schädel zu vermessen, ehe sie sich Notizen in ihren Krankenblättern machten, die sie anschließend in riesigen Schränken wegschlossen. Und dann dieser widerwärtige Geruch, der sie ständig umgab, als wären sie in antiseptische Verbände gewickelt. Sie hatten sich geweigert, ihn in die offene Abteilung zu verlegen, obwohl er ihnen erklärt hatte, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Sein Vater hatte mit Sicherheit nicht gewollt, dass man ihn wie jemanden einsperrte, der zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war.
Morgens wurde er aus dem Bett gezerrt und ins Bad kommandiert. Zwanzig Minuten sollten alle in einer Badewanne mit kaltem Wasser liegen. Eine eiskalte Badewanne, dachte er, wer sollte davon gesünder werden? Er hatte ihnen verständlich zu machen versucht, dass er die Prozedur unerträglich fand, zunächst einmal wegen der Kälte, aber vor allem, weil er in seinem eigenen Schmutz liegen musste. Er sah doch mit eigenen Augen, wie sich das Wasser dunkel verfärbte und in ihn einzudringen schien. Er wollte den Schmutz loswerden, sich nicht darin suhlen.
Aber sie hörten natürlich nicht auf ihn, sagten vielmehr, das Bad solle ihn stärken. Mit dem Einsperren war es das Gleiche: Es ist zu Ihrem eigenen Besten, erklärten sie. Daraufhin ein Schlüssel im Schloss, rasselnde Ketten, gefolgt von furchtbarer Stille. Manchmal hörte er jemanden im Korridor wimmern, ansonsten war es einschläfernd ruhig.
Wenn nur bald sein Vater kommen würde, wie er es ihm versprochen hatte. Amelie hatte ebenfalls versprochen, spätestens in einem Monat zurückzukehren. Sie hatte ihn begleitet, um die Ärzte und das Personal zu treffen. Er wünschte sich, sie könnte ihn nach Rom mitnehmen, damit sie dort zusammen wären. Er wusste es jetzt besser, dachte er, jetzt würde er seinen Unterricht ernst nehmen. Es würde gut gehen, auch wenn sie immer noch mit diesem Tschechen, diesem Oki, zusammenlebte.
Er war sicher, wenn sie diesen Tschechen verließe, würde es ihnen wieder gutgehen. Oki war nichts für sie, was Sören Christer ihr auch klarzumachen versucht hatte. Aber sie hatte daraufhin bloß gelacht, als nähme sie ihn nicht ernst. Hinter dem Lachen hatte er ihre Augen jedoch traurig werden sehen. Insgeheim, dachte er, insgeheim wusste sie, dass er Recht hatte. Immerhin war sie seine Mutter.
Es liegt nur daran, dass sie sich in Rom einsam fühlt, dachte Sören Christer, deshalb hat sie sich auf diesen Tschechen eingelassen. Aber jetzt hatte sie neue Kinder, die natürlich bei ihr bleiben würden. Hauptsache, Oki verschwand, dann konnte er nach Rom zurückkehren, und es würde alles anders werden als beim letzten Mal.
Doch jetzt war Sören Christer wieder eingesperrt. Sein Kopf lag auf dem harten Kissen, und er schloss die Augen. Obwohl sie zu waren, sah er nichts als seine kleine, karge Zelle, in der alles an den Wänden befestigt war. Zwei Wochen lang hatte er darum kämpfen müssen, einen eigenen Stift besitzen zu dürfen. Nicht
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